Heute muss man kämpfen
Donnerstag 17 Dezember 2020
Mehr als 7.000 Anlegerinnen und Anleger investieren über den Westdeutschen Förderkreis ihr Geld bei Oikocredit. Sie unterstützen die Arbeit der Genossenschaft auf dem Hintergrund ihrer Erfahrungen und ihrer Haltung zur Welt. Wie der evangelische Theologe Dr. Markus Dröge. Bis zu seiner Pensionierung 2019 war er zehn Jahre Landesbischof in Berlin Brandenburg-schlesische Oberlausitz. Seither pendelt er zwischen Berlin und seinem alten und neuen Wohnort Koblenz.
Text: Marion Wedegärtner
Dort treffen wir ihn auf dem Bildschirm an. Am Nachmittag wird er schon wieder auf dem Weg zu einer Tagung im Zug nach Berlin sitzen. Markus Dröge und seine Frau Susanne Dröge gehören zu den frühen Mitgliedern des Westdeutschen Förderkreises, stießen Anfang der 1980er Jahre dazu. Vor dem zweiten Theologieexamen habe Jörg Baumgarten ein oder zwei Seminartage in den Räumen einer Kirchengemeinde in Siegburg angeboten, erinnert sich Markus Dröge, um „uns angehenden Pfarrer*innen Ökumenische Theologie beizubringen“. Baumgarten, Mitglied Nr. 1 des Förderkreises und sein Mitgründer 1979, hat es offenbar verstanden, in diesem Zusammenhang Oikocredit als Beispiel für gute ökumenische Praxis ins Spiel zu bringen.
„Die Gelder der Kirchen, das war ja der Ursprungsgedanke seinerzeit, weltweit so anzulegen, dass sie Menschen zu besseren Lebensbedingungen verhelfen, war eine gute Idee. Noch besser war, dass sich Oikocredit für private Anleger*innen öffnete. Wer Geld hat, kann es einsetzen. Wer kein Geld hat, kann nichts aufbauen. Kein Geld zu haben macht hilflos. Eine Starthilfe kann immense Wirkung entfalten, für Einzelne, die Familien, die regionale Infrastruktur, auch für die Ökologie. Damals hatten wir zwar nicht viel Geld übrig, aber meine Frau und ich sind Mitglied geworden und haben uns vorgenommen, wenn wir einmal mehr haben, immer etwas abzugeben. Das tun wir bis heute“, sagt Markus Dröge. Er sehe mit gewisser Bewunderung die Erfolgsgeschichte der Genossenschaft, die weltweite Vernetzung, die gelebte kulturelle Vielfalt. Er wünsche sehr, sagt er, dass Oikocredit ihren Kurs hält. „Ich weiß ja, wie schwierig das für alle momentan ist.“
Für Gerechtigkeit, für die Armen
Schwierige Zeiten. Das meint nicht nur die Corona-Pandemie. Markus Dröge ist auch nach seiner Pensionierung an kirchlichen und zivilgesellschaftlichen Prozessen beteiligt. Er sitzt im Nationalen Begleitgremium zur kritischen Begleitung der Suche nach einem neuen Atommüllendlager, ist Mitglied des Rates der EKD (Evangelische Kirche in Deutschland), Aufsichtsratsvorsitzender des Evangelischen Werkes für Diakonie und Entwicklung, zu dem auch Brot für die Welt gehört. Was sich verändere, sagt er, seien vor allem die Bedingungen in vielen Ländern dieser Welt. Er spricht von „Shrinking Spaces“. „Die Räume für die Zivilgesellschaft werden in vielen autoritären Staaten begrenzt. Diejenigen, die sich für eine engagierte, kritische Zivilgesellschaft einsetzen, werden diffamiert, sogar verfolgt. Das ist ein ganz großes Problem. Umso wichtiger wird es, dass wir über unsere Organisation Brot für die Welt Menschen unterstützen, die sich beispielsweise für Menschenrechte einsetzen. Es hat ja wenig Sinn, Hilfsprojekte zu starten und langfristig zu begleiten, wenn wir uns nicht gleichzeitig darum kümmern, dass in den Gesellschaften auch die Bedingungen existieren, die den Projekten eine Zukunft eröffnen.“ Andererseits leiden langfristige Projekte momentan unter den Corona-Bedingungen und brauchen häufig Soforthilfe, um über die nächsten Monate zu kommen. Katastrophenhilfe und Soforthilfe gewinnen angesichts von Kriegen, Klimawandel und Corona zunehmend an Bedeutung, weiß Dröge.
Er ist froh, dass die kirchlichen Mittel für den Arbeitsbereich „Eine Welt“ derzeit nicht gekürzt werden sollen. Obwohl man vor neuen Sparrunden stehe. „Da gibt es natürlich Verteilungskämpfe, weil jeder um sein Arbeitsgebiet kämpft“, sagt Markus Dröge. „Glücklicherweise gibt es in unseren Kirchen ein starkes bewusstsein dafür, den Ärmsten der Armen weltweit, aber auch hier bei uns helfen zu wollen.“ Er sieht es als ethische Herausforderung, mit dem anvertrauten Geld etwas Gutes zu tun. „Ich bin stark geprägt von einer biblischen Theologie. Der Einsatz für Gerechtigkeit und für die Armen zieht sich wie ein roter Faden durch die gesamte Bibel. Und mit dem Geld ist es so: Wenn man sich nicht darum kümmert, es ethisch einzusetzen, dann machen andere etwas anderes mit dem Geld, ohne diesen ethischen Anspruch.“
Er ist froh, dass die kirchlichen Mittel für den Arbeitsbereich „Eine Welt“ derzeit nicht gekürzt werden sollen. Obwohl man vor neuen Sparrunden stehe. „Da gibt es natürlich Verteilungskämpfe, weil jeder um sein Arbeitsgebiet kämpft“, sagt Markus Dröge. „Glücklicherweise gibt es in unseren Kirchen ein starkes bewusstsein dafür, den Ärmsten der Armen weltweit, aber auch hier bei uns helfen zu wollen.“ Er sieht es als ethische Herausforderung, mit dem anvertrauten Geld etwas Gutes zu tun. „Ich bin stark geprägt von einer biblischen Theologie. Der Einsatz für Gerechtigkeit und für die Armen zieht sich wie ein roter Faden durch die gesamte Bibel. Und mit dem Geld ist es so: Wenn man sich nicht darum kümmert, es ethisch einzusetzen, dann machen andere etwas anderes mit dem Geld, ohne diesen ethischen Anspruch.“
„Ich dachte, wir wären weiter“
Markus Dröge ist als Diplomatensohn groß geworden, geboren in Washington D.C., aufgewachsen in den USA, Paris und Brüssel. „Bei uns zuhause gingen
Menschen aus aller Welt ein und aus.“ Als er schon von zu Hause ausgezogen war und studierte, lebten die Eltern in Vietnam, Nigeria, Algerien. Besuche dort hätten seinen Horizont erweitert, sagt Dröge. Als Pfarrer und Superintendent gestaltete er ein Philippinenprojekt im Kirchenkreis Koblenz mit. Als Landesbischof war er in vielen Ländern der Erde unterwegs, sah Projekte in den peruanischen Anden und in Kuba, Slums in Lima, Townships in Südafrika. „Das Bewusstsein, dass wir eine Verantwortung nicht nur für unser eigenes Wohlergehen haben, sondern dafür, dass es der Welt insgesamt gut geht und sie eine Zukunft hat, hat mich immer begleitet.“ In seinem Elternhaus sei undenkbar gewesen, dass es eine Wertigkeit oder Rangfolge der Kulturen geben könnte. In den Auslandsschulen, in denen Dröge unterrichtet wurde, wäre kein Mensch auf die Idee gekommen, dass die kulturelle Herkunft den Wert bestimmt.
Als er zum ersten Mal mit rassistischem Denken in persönlichen Begegnungen konfrontiert wurde, sei er erschrocken gewesen. „Ich dachte, wir wären kulturell viel weiter. Ich konnte, anders als meine erwachsenen Kinder heute, noch die Illusion haben, die Welt sei so, wie ich sie zuhause oder in der Schule erlebt habe. Ich habe erst im Laufe der Zeit gemerkt: Die Welt kann auch ganz anders sein. Als ich als junger Pfarrer anfing, da haben wir doch auch noch gar nicht über die Zukunft der Kirche als Institution nachgedacht. Die Zukunft schien einfach klar: Uns geht’s gut, das wird weiter so sein, und jetzt können wir anderen helfen. Inzwischen sind uns die Probleme der Welt sehr nahegekommen. Das Bewusstsein dafür, dass alles zusammenhängt, dafür, wie es um die Zukunft, um Frieden und Gerechtigkeit in der Welt bestellt ist, die ökologische Frage, all das ist sehr viel präsenter und existentieller geworden“, sagt Dröge. Und setzt nach: „Das heißt auch, wenn wir uns jetzt engagieren, dann wissen wir: Wir engagieren uns für das Ganze, dafür, dass unsere Welt überhaupt eine Zukunft hat.“
Randthemen ins Zentrum gerückt
Das nimmt er als Veränderung wahr, die unterschiedliche Folgen hat. In den 1980er Jahren seien es wenige gewesen, die die globalen Zusammenhänge erkannten. In der Gemeindearbeit etwa sei die Eine Welt ein Thema unter vielen gewesen, aus Mehrheitssicht eher speziell, wenn nicht peripher. Dass es dabei auch um die eigene Existenz ging, hätten die wenigsten gesehen. Das sei heute anders. „Jetzt sind es brennende Themen. Entsprechend wächst leider auch der Widerstand. Der Rechtspopulismus macht sich dafür stark, dass wir, als Volk, Nation, ausschließlich an uns denken sollen. Das ist falsch, verführerisch und hochgefährlich. Es gibt keine Lösung, sondern eine Zunahme der Probleme, wenn jede Nation nur an sich selbst denkt, Mauern baut und versucht, das Beste für sich herauszuschlagen. Dann werden noch mehr Menschen fliehen müssen, weil ihre Lebensbedingungen unerträglich sind“, sagt Markus Dröge.
Oktober 2013 in Berlin, Pariser Platz vor dem Brandenburger Tor. 26 Hungerstreikende aus Afghanistan, Äthiopien, Pakistan, Iran, Kongo und Sierra Leone demonstrieren seit Monaten dafür, dass ihre Asylverfahren bewilligt werden, seit acht Tagen essen sie nichts mehr, seit Tagen trinken sie nicht mehr. Die Situation hatte sich so zugespitzt, dass unsere Flüchtlingsberater auf uns zu kamen und sagten, wenn nicht bald etwas geschieht, werden die ersten sterben“, erzählt Dröge, der 2009 zum Landesbischof gewählt und von Koblenz nach Berlin gezogen war. Gemeinsam mit dem Diakoniepräsidenten und dem Bevollmächtigten des Rates der EKD ist er zu den Flüchtlingen gegangen, hat mit ihnen geredet und bewirkt, dass sie ihren Hungerstreik aufgaben. „Mit der Zusage, dass Kirchengemeinden bereit sind, sie aufzunehmen und sich für sie einzusetzen“. Daraus ist viel entstanden. Die Landeskirche hat ein Gesamtkonzept für die Flüchtlingsarbeit entwickelt und eine Flüchtlingskirche eingerichtet. „Als dann 2015 die Flüchtlingszahlen so anstiegen und die Berliner Verwaltung völlig überfordert war, sind sehr viele Kirchengemeinden mit sehr vielen Ehrenamtlichen eingesprungen.“ Hautnah habe man dann mitbekommen, wie sich der Willkommenskultur eine teils hasserfüllte Gegenbewegung entgegengestellte. „Die rechtspopulistischen Angriffe, bis hin zu Brandanschlägen gegen Flüchtlingsprojekte, nahmen dann ja auch bald zu“, sagt Dröge.
Konfrontativ gegen Rechtspopulismus
Sich dem entgegenzustellen, ist ihm wichtig, hängt mit allem zusammen, was für ihn Bedeutung hat. „Diese weltweite Tendenz, von einer homogenen Nation mit einer homogenen Religion zu träumen und autoritäre Herrschaft zu feiern, die diese Ideologie ausnutzt, um ihre Nationalinteressen durchzusetzen, gefährdet den Weltfrieden immens“, sagt er, und: „Bei uns versucht das die AfD.“ Es gibt eine sehr kleine Gruppe Christen in der AFD, die sich ChrAfD nennt. Mit einer Vertreterin dieser Gruppe hat Markus Dröge 2017 auf dem Podium des Kirchentags gesessen. Das war nicht unumstritten, sagt er, „aber wir müssen den Rechtspopulismus aktiv bekämpfen, dazu gehört das konfrontative Gespräch. Wir müssen argumentieren, falschen behauptungen widersprechen. Wir haben auch in den Gemeinden Menschen, die rechtspopulistische Gedanken vertreten, es gibt Ehrenamtliche, die in der AfD aktiv sind.“ Niemanden allein wegen der Mitgliedschaft in der AfD auszuschießen, aber jeden auszuschließen, der sich öffentlich menschenverachtend äußert, das ist die Linie. „Ich habe mich nicht mit Herrn Kalbitz auf ein Podium gesetzt, der damals Spitzenkandidat von Brandenburg war“, sagt Dröge. Bei ihm sei die rote Linie weit überschritten.
„Das friedliche Zusammenleben unterschiedlicher Religionen und Kulturen muss das Leitbild sein“, sagt Markus Dröge. „Wenn man sich für diese Art des
Zusammenlebens, für Dialog, für Menschenrechte einsetzt, bedeutet das heute, dass man kämpfen muss.“
Foto: EKBO
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