Wie wollen wir arbeiten?
Mittwoch 16 Dezember 2020
Sorgfalt, Transparenz in der Lieferkette, Fairness und Nachhaltigkeit auf allen Ebenen: Ein Hosenfabrikant aus dem Oberbergischen zeigt, dass es geht und wie es geht. Ein Besuch in Denklingen bei MEYER.
Text: Marion Wedegärtner
Im Geschäft liegt eine Herrenhose neben der anderen. Die nachhaltig produzierte und fair gehandelte Hose aus ökologisch einwandfreien Materialien neben
einer, von der man vielleicht lieber gar nicht erst wissen will, wie sie hergestellt ist. Der Preis allein ist keine Richtschnur. Unterschiede in Qualität und Produktionsweise sind für Verbraucher auf den ersten Blick kaum erkennbar. Das ärgert den Unternehmer Michael Meyer. Und auch Handel und Verkäufer*innen, weiß er, sind interessiert daran, Argumente für die Beratung zu haben. „Erst wenn der Kunde gut informiert ist, kann er eine bewusste Kaufentscheidung treffen“ sagt Meyer. Darum ist er froh über den nächsten Schritt seines Familienunternehmens: Die Made-In-Green-Zertifizierung in Zusammenarbeit mit Oeko-Tex.
Ab sofort befindet sich auf jedem Etikett am Bund jeder MEYER-Hose ein QR-Code. Scannt man ihn ein, gelangt man auf ein Internetportal, das Informationen zu allen für diese Hose verwendeten Materialien, zu ihrer Verarbeitung, zu den Produktionsorten und zur Einhaltung von Sozial- und Umweltstandards entlang der gesamten Lieferkette offenlegt. Und noch etwas ist neu: Das Unternehmen verarbeitet nur noch Bio-Baumwolle. „Da haben die Verbraucher bei uns keine Wahlmöglichkeiten mehr“, sagt Michael Meyer zufrieden. „Biologischer Anbau bedeutet den Verzicht auf Pestizide und Dünger. Die Böden sind gesünder. Sie speichern Wasser effektiver. Das senkt den Wasserverbrauch. Und die Fasern der US-amerikanischen Bio-Baumwolle sind stabiler.“
Bernhard Meyer hat den Betrieb vor 60 Jahren gegründet; die zweite Generation führt ihn in die Zukunft. Seit elf Jahren sind MEYER-Hosen Fairtrade-zertifiziert. Qualität, nachhaltig produziert, hält länger, sagen Vorstandsvorsitzender Michael Meyer und sein Qualitätsmanager Torsten Althaus. Dass Qualität gut altert, zeigen auch die sichtlich viel benutzten und immer noch schönen Stuhlklassiker direkt am Eingang; gegenüber dem Desinfektionsmittelspender. Die große Jubiläumsfeier ist gerade zum zweiten Mal verschoben worden, sagt Meyer. Ungern, aber wegen Corona sei das nicht anders machbar.
Textilindustrie war immer global
Das Unternehmen MEYER verkauft zwei Millionen Hosen im Jahr an über 5.000 Fachgeschäfte in 35 Ländern. Auch in China sind sie gefragt. Meyer legt Wert
auf hochwertige Stoffe, präzise Schnitte für verschiedene Styles und: die Innenausstattung. „Extrareißverschlussfach fürs Geld, ausgefallene Muster beim
Innenfutter, paspelierte Taschen, ab sofort nur noch Knöpfe aus Steinnuss.“ Das Firmengebäude in Denklingen im Oberbergischen beherbergt die Designabteilung, neben Verwaltung, Lager, Vertrieb und Verpackung. Hergestellt werden die Hosen im eigenen Werk in Rumänien. Dass in Europa gefertigt werde, bedeute keine Abwertung anderer Produktionsländer, betont Michael Meyer. International sei die Textilindustrie immer schon gewesen, setzt er nach, zwangsläufig. „Der Rohstoff Baumwolle wächst nun einmal nicht überall.“ Auch sei die Vorstellung, in asiatischen Ländern werde nur Ramsch produziert, falsch. „Es gibt natürlich nachhaltig arbeitende Konfektionäre dort. Nur ist das von deutschen Unternehmen, die Billigware produzieren wollen, nicht gefragt.“
Aber: Das Familienunternehmen will nah an allen Prozessen sein, die zur Herstellung der Hosen notwendig sind. Man bezieht die Oberstoffe, die den höchsten Anteil an der Hose ausmachen, ausschließlich von bekannten europäischen Webern. Und auch die übrigen Zutaten wie Knöpfe, Reißverschlüsse oder Garne kommen aus Europa. Einmal im Monat reist Torsten Althaus ins 2.000 Kilometer entfernte Braşov, früher Kronstadt in Siebenbürgen, eine Stadt mit 250.000 Einwohner*innen und zwei Universitäten, in der sich seit der Jahrtausendwende zunehmend auch ausländische Firmen angesiedelt haben. MEYER-HOSEN hat hier schon 1991 direkt nach der Wende eine Produktionsstätte errichtet. „Wir waren die ersten Direktinvestoren in der Region“, sagt Michael Meyer.
Gute Zulieferer mögen’s nachhaltig
Das Werk in Rumänien wurde nach deutschen Standards gebaut. „Wir garantieren soziale Sicherheit durch geregelte Arbeitsverträge und tariflich geregelte Löhne und Arbeitszeiten, Gesundheitsschutz und Sicherheitsmaßnahmen am Arbeitsplatz nach europäischen Normen“, erläutert Meyer. Eine eigene industrielle Wäscherei mit integrierter Wasseraufbereitungsanlage, in der das Wasser vorgeklärt wird, ist ein zusätzlicher Beitrag zum Umweltschutz. Übrigens seien die Standards in Rumänien mit dem Eintritt in die EU schnell an europäische Normen angepasst worden und zuweilen sei man dort strenger als hierzulande, betont Althaus.Auch da träfen pauschale (Vor)urteile keineswegs zu.
Bis 1998 lief die Produktion in Deutschland und Rumänien parallel, seitdem werden die Hosen ausschließlich in Rumänien gefertigt. „Hosenherstellung ist arbeitsintensiv, das wurde schon seit den 1970er Jahren zu teuer“, sagt Michael Meyer. 1.600 Mitarbeiter*innen arbeiten am rumänischen Standort. Nicht gerade klein für ein Unternehmen, das ausschließlich Herrenhosen produziert. Was wohl auch so bleiben wird. „Wir sind Spezialisten“, sagt Meyer. Ein kleiner Abstecher von Firmengründer Bernhard Meyer in die Damenmode sei rasch beendet worden. Herrenhosen seien schon komplex, aber in Formen und Farben allemal stetiger als in der Damenmode.
Meyers Stofflieferanten sind mittelständische Betriebe. Sämtliche Zulieferer, zumindest diejenigen, von denen der Unternehmer größere Mengen einkauft, müssen ebenfalls Fairtrade- oder Made-In-Green-zertifiziert sein, erläutert Michael Meyer. Dabei berücksichtigt Made-In-Green nicht nur einzelne Nachhaltigkeitsaspekte, sondern fordert eine Analyse und Bewertung der Produktionsbedingungen auf allen Stufen der gesamten Lieferkette. Dafür Zulieferer zu finden oder sie zur Zertifizierung zu ermuntern sei gar nicht schwierig, sagt Meyer. „Im Gegenteil: Alle, die wir ansprechen, sind offen dafür. Mehr noch. Sie wünschen es sogar. Wer nicht im Billigsektor produziert, ist sehr daran interessiert, gut zu produzieren.“
Politik muss fairen Rahmen schaffen
Sein Unternehmercredo veranschaulicht Michael Meyer so: „Wir fragen uns: Wie wollen wir arbeiten und wie finden wir die Kundschaft, die unsere Produkte nachfragt.“ Er geht fest davon aus, dass das Unternehmen gut durch die Corona-Krise kommt. Sicher, in diesem Jahr würden vermutlich etwas weniger Hosen verkauft als vorgesehen, aber „wer die letzten 15 Jahre seriös und nachhaltig gewirtschaftet hat, Gewinne in das Geschäft investiert und Rücklagen gebildet hat, kann auch durch eine solche Krise kommen“, sagt er. Auch die Rücklagen des Unternehmens werden aus Überzeugung nachhaltig angelegt. Seit mehreren Jahren ist das Unternehmen MEYER Mitglied im Westdeutschen Förderkreis und Anleger bei Oikocredit.
Unternehmensverantwortung und Sorgfaltspflicht sind im Meyerschen Unternehmen Alltag. Und ein Lieferkettengesetz? „Da sind wir sofort dafür“, sagen Althaus und Meyer unisono. Denn: „Der Staat muss die Rahmenbedingungen schaffen. Es ist nicht fair, wenn man hierzulande Umwelt- und Sozialstandards hat und für die Produktion in anderen Ländern nicht. Das ist für den Wettbewerb hier nicht fair und ebenso wenig fair gegenüber den Ländern, in denen man produziert.“ Torsten Althaus ereifert sich: „Eigentlich müsste es eine virtuelle Schranke an den EU-Außengrenzen geben: Nur nachhaltige Produkte dürfen hier rein.“ Meyer: „Die Kosten für Nachhaltigkeit müssen auf alle Produkte umgelegt werden, auch auf die importierten. Das muss und kann man ändern. Das ist eine Forderung an die Politik. Wenn man beispielsweise sagt: Ab 2040 dürfen nur noch nachhaltige Produkte importiert werden, dann geht das. Ich bin häufig in China, dort hat man in Sachen Nachhaltigkeit unglaublich viel geschafft in den letzten Jahren. Das geht.“
„Im Übrigen glaube ich niemandem, der sagt, er kenne die Fabriken im Ausland, die für ihn produzieren, nicht“, sagt Torsten Althaus. Allenfalls bei simplen Produkten wie T-Shirts sei so etwas vorstellbar, „aber für alles, was etwas komplexer in der Herstellung ist, werden Techniker*innen von hier entsandt.“ Das Argument, es sei für mittelständische Betriebe nicht leistbar, die Lieferkette bis ins Detail zu verfolgen, lassen beide nicht gelten. Dass etwas nicht sofort perfekt sei, könne kein Gegenargument sein, es zu versuchen. „Man kann sich Mühe geben, man kann anfangen“, sagen sie.