Schluss mit der Diskriminierung!
Mittwoch 16 Dezember 2020
Ein Lieferkettengesetz muss geschlechtergerecht sein!, (1) fordert Dr. Christina Alff, Bildungsreferentin beim Oikocredit-Förderkreis Baden-Württemberg. Viele Jahre Auslandseinsatz in Pakistan, Afghanistan und mehreren Ländern Westafrikas haben die Geographin besonders für das Thema Geschlechtergerechtigkeit und die Notwendigkeit eines gerechteren Welthandels sensibilisiert.
Zur Erinnerung: Es gibt leider kein traurigeres Beispiel als den Einsturz des Gebäudes Rana Plaza in Bangladesch mit fünf Textilfabriken, um die Dringlichkeit zu verdeutlichen, dass ein Lieferkettengesetz Geschlechtergerechtigkeit vollumfänglich berücksichtigen muss.
Was geschah? Im April 2013 stürzte ein achtstöckiges Gebäude nahe der Hauptstadt Dhaka ein, obwohl Arbeiter*innen das Management auf Risse im Gemäuer aufmerksam machten. Statt Evakuierung wurde weitergearbeitet. Der Einsturz forderte 1.138 Tote und mehr als 2.000 Verletzte; mehrheitlich Frauen, die an den unzähligen Nähmaschinen saßen oder an Zuschneidetischen arbeiteten.
In Kürze: Ein optimales Lieferkettengesetz verpflichtet Unternehmen, ihre im Ausland beschafften Vorleistungsprodukte (wie zum Beispiel Kakao für die Herstellung von Schokolade) oder Fertigerzeugnisse (wie Textilien) in allen Phasen ihrer Lieferkette auf die Verletzung von Menschen- und international anerkannten Arbeitsrechten zu prüfen und diese gegebenenfalls zu ahnden. Darüber hinaus sind umweltschädigende Praktiken zu analysieren und zu beenden.
Warum ein weiteres Gesetz? Internationale Übereinkommen wie die ILO-Kernarbeitsnormen, die UNKinderrechtskonvention, die Frauenrechtskonvention
(CEDAW), die 2019 von der ILO entwickelten Standards gegen Gewalt und sexuelle Ausbeutung am Arbeitsplatz und natürlich die 2015 verabschiedeten nachhaltigen Entwicklungsziele scheinen im Hinblick auf die Einhaltung von Menschen- und Arbeitsrechten zahnlose Tigerinnen zu sein. Vor allem für Frauen und Kinder.
Deshalb muss das Lieferkettengesetz geschlechtergerecht ausgestaltet sein! Frauen stellen im globalen Süden mehrheitlich die Arbeitskräfte in den Niedriglohnsektoren der Textilindustrie, der Elektronikproduktion und im Agrar- und Nahrungsmittelsektor. (2) Dass Frauen und Mädchen weltweit geschlechtsspezifische Diskriminierungen erfahren, ist eine Binsenweisheit. Studien aus dem Textilsektor belegen, dass Frauen häufig sexualisierter Gewalt ausgesetzt sind und sich, aus Angst den Arbeitsplatz zu verlieren, nicht dagegen zur Wehr setzen.3 Wird eine Näherin schwanger, wird ihr gekündigt, weil das Unternehmen Kosten sparen möchte. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit ist im Textilsektor ebenso fern wie in manchen deutschen Unternehmen. Ein Lieferkettengesetz muss Unternehmen verpflichten, potenzielle geschlechtsspezifische Benachteiligungen zu analysieren und Maßnahmen zu deren Prävention und Abhilfe durchzuführen. Die Unternehmen müssen darauf hinwirken, dass ihre Zulieferer folgende Dimensionen geschlechtsspezifischer Diskriminierungen in den Blick nehmen.(4)
● Geschlechtsspezifische und sexualisierte Gewalt: eine Null-Toleranz-Politik muss verbindlich durch Regeln garantiert sein und bei Verstößen müssen Sanktionen erfolgen.
● Die sexuellen und reproduktiven Rechte von Frauen und Mädchen, wie Regelungen zur Arbeit während der Schwangerschaft, Kündigungsschutz, bezahlter Mutterschutz und Stillen während der Arbeitszeit müssen anerkannt werden.
● Gleicher Lohn für gleiche Arbeit und existenzsichernde Löhne für alle Beschäftigten müssen sichergestellt werden.
Foto: Volker Rekittke
Aktuelles: Über 222.222 Menschen haben die Petition an Kanzlerin Merkel für ein Lieferkettengesetz unterzeichnet. Das Engagement hat sich gelohnt: Aktuell diskutiert die Bundesregierung die Verabschiedung einer gesetzlichen Regelung noch in dieser Legislaturperiode wie im Koalitionsvertrag vorgesehen. Ein geschlechtergerechtes Lieferkettengesetz wäre ein Meilenstein für die Menschen- und Frauenrechte und keine zahnlose Tigerin!
Fußnoten:
(1) Dieser kurze Beitrag fokussiert auf Geschlechtergerechtigkeit beim Lieferkettengesetz. Genau so müssen andere Diskriminierungsformen wie sexuelle Orientierung, ethnische Zugehörigkeit, Spiritualität, Alter etc. bei der Analyse von Lieferketten berücksichtigt werden.
(2) „Besonders abhängig von importierten Vorleistungen sind in Deutschland die Textilindustrie (63% ausländischer Wertschöpfung), Elektronik (45%),
(4) Die drei genannten stellen die wichtigsten Aspekte dar; weitere sind in der jüngst erschienenen Publikation nachzulesen.(1) Dieser kurze Beitrag fokussiert auf Geschlechtergerechtigkeit beim Lieferkettengesetz. Genau so müssen andere Diskriminierungsformen wie sexuelle Orientierung, ethnische Zugehörigkeit, Spiritualität, Alter etc. bei der Analyse von Lieferketten berücksichtigt werden.
(2) „Besonders abhängig von importierten Vorleistungen sind in Deutschland die Textilindustrie (63% ausländischer Wertschöpfung), Elektronik (45%),
chemische und pharmazeutische Industrie (39%), Lebensmittelindustrie (37%), Automobilindustrie (29%) und Maschinenbau (28%).“
(3) HRW; ILO; Asiafoundation;
(3) HRW; ILO; Asiafoundation;
Foto: Volker Rekittke