Freiwilligenarbeit – der Heilsweg der Weißen
Freitag 17 März 2017
Nawal Allal ist freiberufliche Social Business Consultant und Afrika-Referentin von Action Connected. Sie hat das Buch “Impact of FDI on Income Inequalities in Resources Rich Countries” geschrieben (Die Wirkung ausländischer Direktinvestitionen auf Einkommensunterschiede in rohstoffreichen Ländern). Sie ist Absolventin von Chevening, eines Programms der britischen Regierung zur weltweiten Förderung von Führungskräften. Im Folgenden beschreibt sie ihre Sicht des derzeitigen ehrenamtlichen Engagements in Afrika.
Die Entwicklung in Afrika wurde im vergangenen Jahrzehnt stark von freiwilligem Engagement getragen. Häufig wird uns auch von den Folgen dieses Engagements für die Freiwilligen berichtet: Es beeinflusst den beruflichen Lebenslauf und die Karriere. Oft hilft ehrenamtliches Engagement den Freiwilligen, berufliche Erfahrungen zu sammeln, bevor sie eine bezahlte Stelle annehmen. Aber was erfahren wir eigentlich von den Auswirkungen der Freiwilligenarbeit in den Ländern, wo sie geleistet wurde?
Hier beschreibt eine 27-jährige Afrikanerin ihre Bemühungen, diesen Trend zu verstehen….
…zu verstehen, wie das vorherrschende Entwicklungsmodell diesen Trend ermöglicht und so die Welt einteilt in “den Westen und den Rest der Welt”. In meiner Jugend habe ich (durch die Medien) ein gewalttätiges und rassistisches Amerika erlebt, und Europa war ungleich und korrupt. So gerne ich auch sagen würde, dass sich dieses Bild inzwischen zum Positiven gewandelt hat – nachdem ich in beiden Kontinenten gelebt und gearbeitet habe, ist es leider noch schlimmer geworden.
Und ich habe mich gefragt, ob es irgendein Stipendienprogramm gibt, wo ich mich bewerben kann, in welchem ich die US-amerikanischen Waffengesetze bekämpfen, für effektivere Maßnahmen gegen Nahrungsmittelverschwendung oder sogar für Gleichstellung der Frauen bei Löhnen und Gehältern in Europa kämpfen kann.
Und können wir Amerikaner*innen oder Europäer*innen Stipendien anbieten, mit denen sie überall in Afrika Erfahrungen in Sozialunternehmen sammeln können? Voraussetzung sollte dabei sein, dass ihre Erfahrungen den jeweiligen Ländern zugute kommen und diese wieder groß und stark machen.
Klingt das jetzt sehr naiv und gutgläubig? Nun, es ist kaum naiver und gutgläubiger als das Gegenteil.
Ich habe 25 Bekannte aus dem Westen gefragt, die alle im Bereich der internationalen Entwicklung arbeiten oder studieren: Was ist eurer Ansicht nach das drängendste Problem im 21. Jahrhundert?
Zu 100 Prozent haben sie alle Afrika in ihren Antworten mit angegeben; aber nur zwei von ihnen haben tatsächlich Südafrika auch besucht (entgegen landläufiger Ansicht besteht Afrika nicht nur aus Südafrika). Keiner von ihnen hat die Probleme seiner jeweiligen Heimatgemeinde als dringend bezeichnet. Ich glaube, Afrika hat ähnliche Probleme in seinen Ländern, die extrem angegangen werden müssen.
Dennoch: Nach dem gegenwärtigen Wirtschaftssystem in ihrem Heimatland befragt, durch das Armut und Ungleichheit in diesen Gesellschaften verstärkt wird, haben manche meiner Bekannten geantwortet, dass es komplizierter ist als es aussieht. Andere meinten, es gäbe nicht so viel Armut wie ich glauben würde. Wie sollte ich das auch wissen?
Mir ist klar, dass die Zahl 25 keine repräsentative Umfrage bieten kann, und so kam mir der Gedanke, dass dieser Trend aufzeigt, wie Menschen in Versuchung kommen können, sich die Probleme anderer Leute zu eigen zu machen. Ich habe immer den Westen als Problem gesehen, während für sie der Rest der Welt einfach nur chaotisch ist. Das scheint aber doch mehr eine Art Verteidigungsmechanismus zu sein und keine böswillige Strategie.
Es gibt eine regelrechte “Industrie”, die diese Phantasien und Wahnvorstellungen bedient, vor allem die 1,5 Millionen in den USA registrierten gemeinnützigen Organisationen. Viele von ihnen sind auf Auslandshilfe spezialisiert. Und da ist der 9 Millionen-£- Etat des DFID (des britischen Entwicklungshilfeministeriums), welches bilaterale und multilaterale internationale Programme ausführt.
Mit anderen Worten, das Überlegenheitsgefühl der jungen Menschen aus dem Westen bleibt stabil. Es wird aufgebläht durch Jobs und Praktika, Unmengen von Konferenzen und durch kulturelle Propaganda – all das wird sehr gut in dem bevormundenden und gefährlich vereinfachenden Slogan “rettet Afrika” deutlich. Hinzu kommt, dass für die Teilnahme an solch einem Stipendienprogramm weder Erfahrung noch akademischer Hintergrund oder Kenntnisse aus der Region nötig sind. Das einzige was du brauchst, ist die Bereitschaft zu reisen. Wenn deine Staatsangehörigkeit aber zum Rest der Welt gehört und du im oder für den Westen arbeiten willst, brauchst du Unmengen an Erfahrungen, tadellose akademische Nachweise – nur um für eine Position in Frage zu kommen, die du, wenn du all deinen Mut zusammen nimmst, am Ende dann doch entweder hassen oder verlassen wirst, einfach weil du dich dafür total überqualifiziert fühlst.
Die Fahrlässigkeit, mit der solche Programme oder Unternehmen betrieben werden, kann unmittelbaren Schaden anrichten. So z.B. im Fall der Schuhe der Marke TOMS mit ihrem famosen Geschäftsmodell “ein Paar kaufen, ein Paar geben”: Dabei wird ein Paar Schuhe pro verkauftem Paar gespendet – gespendete, in den USA hergestellte Schuhe, mit denen die Näher*innen in den örtlichen Schuhfabriken aus ihren Jobs gedrängt werden (sie haben inzwischen die Lieferkette geändert).
Der Trend im Spendenwesen und in der Freiwilligenarbeit beginnt mit der Frage “Was sollen wir mit dem Zeug anfangen, das wir nicht wollen?” Und er endet meistens damit, dass Projekte entwickelt werden, die unter den lokalen Bedingungen nicht nachhaltig sind, die örtlichen Experten nicht mit einbeziehen und die örtlichen Projektteilnehmer nicht ausbilden.
Es ist gefährlich, sich die Probleme anderer Menschen zu eigen zu machen, wenn dadurch die wirklich eigenen Probleme vernachlässigt werden. Während Tausende der besten und hellsten Köpfe des Landes in die Ferne reisen, um ungewohnte Leiden zu lindern und mit Störungen im Ausland umzugehen, wird in der Heimat viel Notwendiges versäumt.
Es kann einen schon einschüchtern, die Probleme lösen zu wollen, mit denen man aufgewachsen ist. Die meisten amerikanischen Kinder haben eine Vorstellung von der Realität vielschichtiger Probleme wie z.B. massenhaften Inhaftierungen – es sei denn, sie wären in sehr behüteten Verhältnissen aufgewachsen. Wenn man sich entscheidet, an diesem Problem zu arbeiten (viele Länder im Rest der Welt gehen damit sehr viel besser um als der Westen), dann entscheidet man sich dafür, sich auf einen tiefen Schrecken ein- und dadurch motivieren zu lassen, einen Schrecken darüber, was in diesem Land getan wird – und dadurch eine lange, demütige Reise des Lernens zu machen. Es bedeutet, dass man die Reform der Urteilspraxis studiert, die Privatisierung der Gefängnisse, innovative Ansätze, die schon auf dem Weg sind wie z.B. opferorientierte Justiz und Rehabilitierung; und dann all diese Studien zusammenzufassen, um ein Gefühl dafür zu bekommen, in welcher Richtung die Lösung zu suchen ist, sodass man sich stetig darauf zu bewegt.
Ich kann verstehen, was an der Arbeit im Ausland so attraktiv ist (auch ich habe das gemacht, auch wenn ich als Migrantin angesehen wurde und nicht als “Expat”, also eine, die zeitweise im Ausland lebt und arbeitet... aber das ist hier nicht das Thema.) Es ist keine Frage, dass das Ausmaß und die Dringlichkeit des Bedarfs in sehr vielen Ländern bei Weitem das übersteigt, was ihr in den USA erlebt oder beobachtet habt. Warum sollten diese wunderbaren Menschen weniger von eurer Energie verdienen, nur weil ihr nicht ihre Staatsangehörigkeit teilt?
Aber: Kommt nicht, wenn ihr eine moralische Intention habt…
Kommt nicht, weil ihr eure Leidenschaft fürs Problemlösen entdeckt habt…
Kommt nicht, weil ihr reden müsst… Kommt, weil ihr zuhören wollt.
Es gibt einen besseren Weg. Für uns alle gilt, dass wir der Versuchung widerstehen, uns die Probleme anderer zu eigen zu machen, und dass wir uns stattdessen in die langfristige Aussicht verlieben, zu Hause zu bleiben und uns direkt mit der komplexen Situation konfrontieren. Wenn ihr aber gehen müsst, dann geht. Seid aber gut vorbereitet (lernt die lokale Sprache), bleibt lange genug, hört gut genug zu, sodass “die anderen” zu echten Menschen werden. Lasst euch aber warnen: Vielleicht ist es nicht so einfach, sie zu “retten”.
Was glaubt ihr?
Aus dem Englischen von Thomas Stukenberg
Der Originalbeitrag von Nawal Allal erschien zuerst unter dem Titel Volunteerism: The Healing Path of White Man als Blogbeitrag auf der von ihr gegründeten Seite www.africaniseme.org.uk und anschließend auf mehreren Afrika-Plattformen im Netz.