Gemeinsam sind wir eine Bewegung
Thos Gieskes ist seit einem halben Jahr Geschäftsführer von Oikocredit. Wie hat er diese ersten Monate erlebt, wie sieht er die Zukunft der Genossenschaft, welche Stärken und welche Herausforderungen nimmt er wahr? Ulrike Haug, Pressesprecherin von Oikocredit International, hat in Amersfoort mit ihm darüber gesprochen.
Mit Genossenschaftsarbeit ist der neue Managing Director von Oikocredit Thos Gieskes, der sich nach eigenem Bekunden eher als Weltbürger denn als Niederländer fühlt, bestens vertraut. Der Entwicklungsökonom und Finanzexperte war über 30 Jahre in führenden Positionen im genossenschaftlichen Finanzwesen tätig und ist ein überzeugter Vertreter der genossenschaftlichen Struktur. „Mit Menschen zusammenarbeiten, gemeinsam Erfolg haben, das sind Dinge, die mir wichtig sind. Zahlen sind zwar wichtig, aber Menschen sind sehr viel wichtiger“, sagte er zum Auftakt seiner Tätigkeit bei Oikocredit im April. Und heute?
Thos Gieskes: Ich habe wirklich ziemlich viel gesehen im letzten halben Jahr. Es war eine tolle Erfahrung. Es mag etwas pathetisch klingen, aber ich brenne jeden Tag aufs Neue darauf, ins Büro zu gehen, zu sondieren, wo ich sinnvoll etwas beitragen und wie ich „Mehrwert” schaffen kann. Es ist wie ein Zuhause. Hier möchte ich sein. Ich habe den Großteil der vergangenen sechs Monate damit verbracht, nicht nur die verschiedenen Bereiche der Organisation, sondern auch unsere Kolleg*innen und den Sektor kennenzulernen. Die Lernkurve ist nicht abgeschlossen, aber ich habe das Gefühl, dass sie allmählich flacher verläuft und ich mich auf meinen Beitrag und die Führungsarbeit konzentrieren kann.
Es gab mehrere Momente, die ich inspirierend fand, sowohl bei Treffen mit Investor*innen als auch mit unseren Kolleg*innen und Partner*innen rund um den Globus. Beispielsweise war ich verblüfft, dass so viele Investor*innen an einem Samstag erschienen sind – wie auf dem Jahrestreffen unseres Förderkreises Baden-Württemberg.
Wir richten unsere Strategie nicht komplett neu aus, sondern wollen prüfen, worauf wir uns in unserer derzeitigen Strategie stärker konzentrieren können, wo wir unsere soziale und ökologische Einflussnahme verbessern und gleichzeitig unsere finanzielle Nachhaltigkeit sichern können. Um fokussieren zu können, brauchten wir Experten, die uns Einblick und Perspektiven von außen geben können. Aus diesem Grund haben wir eine Strategieberatungsfirma mit Erfahrung im Bereich Impact Investing engagiert. Diese Firma hat eine umfangreiche Untersuchung durchgeführt und externe Informationen gesammelt, die uns dabei unterstützen können, uns in die richtige Richtung zu entwickeln.
Wie bei jeder anderen Organisation gibt es auch bei uns immer wieder interne Punkte, die verbessert werden können. Einige der größten Herausforderungen jedoch, denen wir uns derzeit gegenübersehen, sind auf externe Faktoren zurückzuführen. Eine der Herausforderungen liegt in dem niedrigen Zinsumfeld, das für eine Organisation wie die unsere, die ihre Finanzerträge vor allem aus Zinseinkünften erzielt, nicht förderlich ist. Eine weitere Herausforderung stellt der schwächer werdende US-Dollar dar. Ein Großteil unserer Kredite und Finanzerträge ist in US-Dollar, während unsere Anleger*innen vor allem in Euro anlegen und wir Dividenden in Euro auszahlen. Manchmal arbeiten Wechselkurse zu unseren Gunsten, derzeit jedoch wirken sie sich negativ auf unser Ergebnis aus. Aufgrund dieser Herausforderungen sieht es sehr unwahrscheinlich aus, dass wir für 2017 ein Finanzergebnis erzielen werden, das ausreichend ist, um ein Dividende von zwei Prozent aufrechtzuerhalten, an die sich unsere Investor*innen gewöhnt haben. Natürlich gibt es Faktoren, die wir beeinflussen können. Wir suchen zum Beispiel nach einer stärkeren Fokussierung und möchten die Effizienz steigern. Ich bin der Überzeugung, dass es sich in puncto
Wirkung und finanzielle Ergebnisse auszahlen wird, wenn man sich auf einige Nischen konzentriert und in diesem Bereich führend ist.
Zunächst einmal sind die Menschen, die hinter Oikocredit stehen, extrem stark. Damit meine ich nicht nur unsere Belegschaft, sondern auch die Menschen, die hinter der Organisation stehen. Es gibt mehr als 50.000 Einzelpersonen, die, entweder über Investitionen oder über Freiwilligentätigkeit, ihren Beitrag zur Gestaltung der Arbeit von Oikocredit leisten. Gemeinsam sind wir eine Bewegung. Das macht uns zu einer unverwechselbaren Organisation und einem äußerst starken und zuverlässigen Partner für die Organisationen, mit denen wir arbeiten. Es sind nicht die Finanzmärkte, über die wir uns definieren, sondern es sind das Engagement und die Ideale der Menschen, die hinter Oikocredit stehen. Eine weitere Stärke ist, dass wir in vielen Ländern auf mehr als 40 Jahre erfolgreicher Tätigkeiten zurückblicken können. Das sind Länder, in denen wir solide Beziehungen zu den Menschen, mit denen wir arbeiten, haben. Die Tatsache, dass wir unsere Partner eine lange Zeit haben unterstützen können und das auch fortsetzen werden, sorgt bei den Menschen für Vertrauen.