Wenn ich an Geld denke, dann denke ich an Schulden
Dr. Boniface Mabanza beschäftigt sich mit den Schnittstellen, an denen unterschiedliche Interessen aufeinanderstoßen, auch, wenn’s ums Geld geht. Marion Wedegärtner (Interview) und Julia Krojer (Fotos) trafen ihn in Bonn vor einer Podiumsveranstaltung, an der er als Kritiker des „Marshallplan mit Afrika“ teilnahm.
Herr Mabanza, welche Rolle spielt Geld in Ihrer Arbeit?
Boniface Mabanza: Eine wichtige. Geld ist Macht. Wenn ich an Geld denke, denke ich an Schulden, Schulden bedeuten Abhängigkeit. Ich arbeite als Koordinator und wissenschaftlicher Mitarbeiter in einer Art Nachfolgestruktur der Antiapartheidbewegung. Wir betreiben Lobbyarbeit, Aufklärung, Bildungsarbeit und Forschung. Wir beschäftigen uns mit den Ver bindungen zwischen Deutschland, Europa und Südafrika. Eines unserer wichtigsten Themen ist neben Handel und Landwirtschaft das der Schulden und Entschuldung der Opfer der Apartheid. Die Opfer von gestern zahlen die Schulden ihrer Unterdrücker. Das ist ein Skandal.
Menschen, Staaten, wovon ist die Rede?
Boniface Mabanza: Von beiden. Die Anrainerstaaten Südafrikas haben einen hohen Preis bezahlt, um den Kampf gegen die Apartheid zu unterstützen und Menschen Zuflucht zu geben, die vor dem Apartheid-Regime geflohen sind. Es war eine Aufgabe der internationalen Gemeinschaft, doch die hat sie nicht wahrgenommen. Die Länder haben sich verschulden müssen. Auch der Apartheidstaat war am Ende hoch verschuldet. Letztlich hat ihn nicht der Widerstand zu Fall gebracht, sondern die Tatsache, dass ihm das Geld ausging und ihm, immerhin, wegen des politischen Drucks weniger Kredit gewährt wurde. Nach der Befreiung haben die Nachfolgeregierungen auf den Schulden gesessen.
Was schuldet der globale Norden dem Süden?
Boniface Mabanza: Dass die Schulden gestrichen werden. Sie sind illegitim. Schulden bedeuten: Die Abhängigkeit geht weiter. IWF und Weltbank diktieren die Bedingungen, was die verschuldeten Länder tun müssen, um ihre Schulden abzuzahlen. Für die verschuldeten Länder hat das starke Kürzungen in vielen wichtigen Bereichen wie Bildung und Gesundheit zur Folge. Deregulierungen, Privatisierungen, Liberalisierung, das sind die Bedingungen, die nichts anderes bedeuten, als dass wiederum die Interessen der Mächtigen der Welt in Zusammenarbeit mit den Eliten der Länder besser durchgesetzt werden können. Dabei wird Korruption nicht nur in Kauf genommen, sondern systematisch gefördert.
Wie können Sie entgegenwirken?
Boniface Mabanza: Wir versuchen, Organisationen in die Pflicht zu nehmen. Wenn die Länder Europas sich zusammentun, können sie auf globaler Ebene Veränderungen erreichen. Bei IWF und Weltbank beispielsweise. Wir machen Überzeugungsarbeit in Gremien, schildern, was es für die Menschen und die Länder bedeutet, wenn Wasser und Strom privatisiert werden. Und wir mobilisieren die Öffentlichkeit. Das ist ein mühsamer Weg. Wir wollen, dass Menschen Fragen stellen, dass sie politischen Druck machen. Leider interessiert es viele Menschen überhaupt nicht, was ihre Art zu leben für andere anderswo bedeutet. Was glauben sie denn, wo das Platin für die Auto-Katalysatoren herkommt? In der Kolonialzeit hat sich die Rolle afrikanischer Länder als Rohstofflieferanten für die Industrie der Kolonialmächte herausgebildet. Daran hat sich nicht viel geändert.
In Ihrem Buch „Das Leben bejahen – Elemente einer Theologie des Lebens aus kongolesischer Perspektive“ bezeichnen sie den Reichtum vieler afrikanischer Länder als Falle, sogar als Fluch.
Boniface Mabanza: Ich rede vom natürlichen Reichtum, den Bodenschätzen, den Ressourcen. Das kann man am Beispiel des Kongo leicht nachvollziehen. Es ist das reichste Land der Welt und zugleich eins der verwundbarsten Länder mit den schlechtesten sozialen Indikatoren. Ähnliches kann man auch in Nigeria, Angola, Kongo-Brazzaville und Äquatorial-Guinea beobachten. Der Kongo hat Diamanten, Gold, Kobalt, Kupfer, Coltan, Wolfram, Mangan, Zink, Zinn, Öl und andere Schätze mehr, die schon bei den ersten Missionaren Begehrlichkeiten weckten, den Horror der belgischen Kolonialzeit befeuerten und auch nach der Unabhängigkeit Kriege, Vergewaltigungswellen, millionenfache Fluchtbewegungen verursachten. Die nationalen Elite-Netzwerke sind in der Regel damit beschäftigt, die nationalen Ressourcen für sich selbst und ihre ausländischen Geschäftspartner zu kontrollieren. Die Menschen im Kongo und ihre Lebensbedingungen, die Ressource Mensch, die Rahmenbedingungen bräuchte, um die vorhandene Klugheit und Kreativität gesellschaftlich gewinnbringend einzusetzen, interessiert dabei überhaupt nicht.
Kennen Sie aus dem Kongo andere Formen, mit Geld umzugehen? Wird über Geld anders gesprochen als hierzulande?
Boniface Mabanza: Der Kongo ist Teil des Ganzen. Auch im Kongo braucht man Geld zum Leben. Aber es gibt Bereiche, in denen Geld eine geringere Rolle spielt. Der Zugang zu Land in den Dörfern ist frei, es gehört der Gemeinschaft. Es wird dafür gesorgt, dass genügend Fläche zur Selbstversorgung verfügbar ist. Und es gibt ein anderes Verhältnis zum Geld. Ich habe lange nach einem Begriff gesucht für das, was ich hier wahrnehme. Fetischismus. Geld hat Fetischcharakter. Ich erzähle Ihnen eine Geschichte aus dem Kongo. Als ich anfing zu studieren und in der Hauptstadt Kinshasa ankam, traf ich einen Onkel, der für eine Stromgesellschaft arbeitete. Er war kein großes Tier oder so. An dem Tag, als sein Gehalt kam, 150 Euro umgerechnet, schickte er alle seine Kinder in verschiedene Richtungen los, um das Geld an Verwandte, Freunde usw. zu verteilen. Er hatte keine Garantie, durch den Monat zu kommen. Wenn ich hier jemandem Geld gebe, ohne dass er gefragt oder gebettelt hat, weil ich das Bedürfnis zu teilen habe, ist das eine große Irritation. Ich denke, wer Geld hat, sollte dafür sorgen, dass es irgendwo hinkommt, wo es etwas Positives bewirkt.
Das tun große NGOs, Unternehmen, Konzerne, Stifter und andere ja auch gerne: externes Geld in afrikanische Länder bringen.
Boniface Mabanza: Das ist anders. Das eine Geld wird verteilt, die Abnehmer können damit machen was sie wollen, das andere wird für vorbestimmte Zwecke (Investitionen oder Projekte) von den Gebern oder Investoren selbst verwaltet. Das ist nicht die gleiche Logik. Darüber hinaus gilt es zu berücksichtigen, dass nachweislich mehr Geld aus Afrika herausfließt als hineinfließt. Das ist ein Skandal. Die illegalen Kapitalströme sind eine Plage, dabei gäbe es Instrumente zu deren effizienten Bekämpfung, wenn der politische Wille da wäre.
Was tun?
Boniface Mabanza: Ich sehe keinen anderen Weg als Bewusstseinsbildung. Aufklären und alternative Visionen zeigen. Erprobungsräume schaffen für Menschen, die sich zusammentun, um etwas auszuprobieren. Koordinieren, Synergien schaffen. Ich halte es mit Ghandi: Du musst die Veränderung sein, die du in der Welt sehen willst. Etwas zu wissen, und nicht den nächsten Schritt zu tun, macht keinen Sinn. Nur den nächsten Schritt zu machen ohne politische Übersetzung bringt nichts. Heißt, wer nicht fliegt, weil er weiß, welche Schäden die Fliegerei verursacht, hat noch nichts gewonnen außer für sich selbst.
Die Arbeit, die eine Genossenschaft wie Oikocredit macht, hat sie Gewicht oder ist sie irrelevant?
Boniface Mabanza: Wenn man mit Geld sinnvolle Projekte fördert, Kooperativen unterstützt etc., also wirklich Empowerment betreibt, ist das gut. Menschen, die ihre Lebensbedingungen verbessern, werden selbstbewusster, können anders auftreten, etwas fordern, gestalten. Wenn Oikocredit zeigt, es geht auch anders, ist das im Blick auf die Länder und die Menschen gut.
Das klingt, als fehlte Ihnen noch etwas?
Boniface Mabanza: Ja, ich finde, im Blick auf den hiesigen Kontext sind Sie aufgefordert, mehr zu tun. Damit die Projekte sinnvoll sind, müssen alle Instrumente, die den Erfolg der eigenen Arbeit zunichtemachen, gestoppt werden. Wenn Sie eine Kooperative von Hühnerzüchterinnen finanzieren, kann Ihnen der Import von konkurrenzlos billigem Hühnerfleisch aus Deutschland nicht egal sein. Man muss Lobbyarbeit machen. Daran müsste die Genossenschaft ein großes Interesse haben.
Wir kommen nicht umhin, uns immer wieder die grundlegenden Fragen zu stellen: Was ist der Mensch? Was ist das Leben? Welche Art von Ökonomie brauchen wir?