Dicht machen ist keine Lösung
Mittwoch 28 Februar 2018
Entgegen dem zwischen Stolz und Furcht oszillierenden Selbstbewusstsein Europas, der beste aller Sehnsuchtsorte zu sein, bleiben die meisten Migrant*innen auf ihrem Kontinent. „Nicht jede*r will nach Europa“, hat Friedel Hütz-Adams deshalb seine jüngste Studie für das Institut Südwind genannt, die den kakaohaltigen Verbindungen zwischen Deutschland und Ghana nachgeht.
Herr Hütz-Adams, warum diese Studie und warum gerade jetzt?
Friedel Hütz-Adams: Dass ein Land wie Deutschland sich mit einer Million geflüchteter Menschen überfordert sieht und Europa die Grenzen dichtmacht, ist für mich ein politisches und persönliches Ärgernis. Einer der Gründe, warum wir diese Studie veröffentlicht haben, ist der, aufzuzeigen, dass der größte Teil der Migrationsbewegung regional oder innerhalb von Landesgrenzen stattfindet und Deutschland als Teil des Weltwirtschaftssystems daran nicht unbeteiligt ist.
Sie nehmen neben der Demokratischen Republik Kongo auch Ghana als Beispiel.
Friedel Hütz-Adams: Bei aller Verschiedenheit haben die Wanderungsbewegungen in beiden Ländern ihre Ursachen gut nachvollziehbar in politischen und ökonomischen Strukturen, die auch heute noch sehr stark von den Auswirkungen der Kolonialzeit beeinflusst werden. Ghana ist weltweit der zweitgrößte Kakaoexporteur, Deutschland steht an zweiter Stelle, was den Kakaokonsum anbetrifft und Kakao ist ein Sektor, der unmittelbar mit den Wirtschaftsbeziehungen nach Europa zusammenhängt. 50 Prozent der Kakaoproduktion weltweit gehen nach Europa. Eine wichtige Ursache der Binnenmigration in Ghana ist lange Zeit die steigende Nachfrage nach Schokolade in den Industrieländern gewesen. Der Kakaoanbau hat seit 1879 zu umfassenden Wanderungsbewegungen in Ghana geführt. Vor der Machtübernahme der Briten 1874 hatte Migration auf der Suche nach Nahrung und Perspektiven oft die umgekehrte Richtung. Menschen gingen aus dem Süden in den Norden Ghanas, weil dort die wichtigen Handelswege zwischen Westafrika und dem Sudan lagen und der Handel Arbeitsplätze schuf. Die britischen Kolonialherren konzentrierten unter ihrer Kontrolle den Handel an der Küste, durchtrennten die traditionellen Handelswege und trugen so zur Verarmung des ohnehin durch Trockenheit benachteiligten Nordens bei. Die darauf folgende Zuwanderung aus dem Norden war erwünscht: Die Briten brauchten Arbeitskräfte für Minen, Häfen und Plantagen im Süden der Kolonie. 70 Prozent des Kakaos weltweit kommen heute aus Westafrika. Als die Nachfrage nach Kakao in Europa stieg, konnte sie ab rund 1870 nicht mehr aus den ursprünglichen Anbaugebieten in Mittel- und Südamerika gedeckt werden. Der Kakaobaum gedeiht in nur wenigen Regionen entlang des Äquators. Die Kolonialmächte errichteten daher Plantagen in Westafrika und Indonesien. Weil sich der Anbau auf Großplantagen nicht lohnte, setzten sie zunehmend auf kleinbäuerlichen Anbau. In Ghana zogen Migrant*innen aus dem Norden des Landes in die Regenwaldgebiete, rodeten die Wälder, pflanzten Setzlinge an, pflegten diese und ernteten Jahre später den ersten Kakao.
Was war und ist das Besondere am Kakao?
Friedel Hütz-Adams: Kakao hatte die größte Zugkraft, um Menschen in Bewegung zu setzen. Der Anbau ist anspruchsvoll, braucht viele Arbeitskräfte und war lange Zeit ein lukratives Geschäft. In den 1950er Jahren noch konnte man damit zu einem gewissen Wohlstand kommen. Besonderheit in Ghana war lange und ist es teils noch heute, dass durch spezielle Pachtsysteme die Menschen die Perspektive hatten, sich eine Existenz aufzubauen. Sie bekommen vom Landbesitzer oder vom lokalen Chief ein Stück Land, errichten eine Kakaoplantage und wenn nach einigen Jahren die Plantage produktiv geworden ist, erhalten sie die Hälfte des Landes als Lohn zur eigenen Bewirtschaftung. In einem anderen Pachtsystem bauen die Pächter*innen Nahrungsmittel für sich und Kakao an, bekommen Dünger und Pestizide gestellt, dürfen aber nur ein Drittel der Kakaoerträge für sich behalten. Rund 800.000 Familien bauen heute in Ghana Kakao an, etwa 4,8 Millionen Menschen hängen vom Kakao ab, das ist fast ein Fünftel der Bevölkerung.
Dabei produzieren die Ghanaer*innen den Kakao nicht einmal teilweise für sich selbst.
Friedel Hütz-Adams: Nein, anders als etwa in Peru oder Kolumbien, wo die Hälfte des Kakaos im Land verarbeitet und verzehrt wird, ist die Produktion in Ghana komplett für den Export bestimmt. Süßspeisen haben dort keine große Bedeutung, Kakao und Schokoladen gehörten nie zur Esskultur. Zudem gibt es logistische Schwierigkeiten, da Schokolade in einem heißen Klima wie in Ghana funktionierende Kühlketten braucht. Ich kenne nur eine einheimische Marke, kleine rote Täfelchen, die erst bei sehr hohen Temperaturen schmelzen – aber auch zumindest mir nicht schmecken.
Friedel Hütz-Adams: Nein, anders als etwa in Peru oder Kolumbien, wo die Hälfte des Kakaos im Land verarbeitet und verzehrt wird, ist die Produktion in Ghana komplett für den Export bestimmt. Süßspeisen haben dort keine große Bedeutung, Kakao und Schokoladen gehörten nie zur Esskultur. Zudem gibt es logistische Schwierigkeiten, da Schokolade in einem heißen Klima wie in Ghana funktionierende Kühlketten braucht. Ich kenne nur eine einheimische Marke, kleine rote Täfelchen, die erst bei sehr hohen Temperaturen schmelzen – aber auch zumindest mir nicht schmecken.
Wenn ausschließlich für den Export produziert wird, ist die Abhängigkeit vom Weltmarktpreis total.
Friedel Hütz-Adams: Das macht es ja so heikel. Im letzten Jahr hat Ghana fast eine Million Tonnen Kakao exportiert. Ab September 2016 gab es einen immensen Preissturz. Statt 3.000 US Dollar wie in den drei Jahren zuvor fiel der Preise binnen kurzer Zeit auf 2.000 US-Dollar je Tonne und bleibt seitdem auf dem Niveau. Inflationsbereinigt liegt der Kakaopreis damit bei rund der Hälfte des Niveaus, den er bis rund 1980 über Jahrzehnte meist hatte. Zugleich stieg der jährliche Umsatz der Schokoladenindustrie auf rund 100 Milliarden Dollar. Der Rohkakao für eine Tafel Vollmilchschokolade mit einem Kakaoanteil von 30 Prozent kostet 6,6 Cent, der Kostenanteil an einer Tafel, die für 89 Cent im Supermarkt zu haben ist, liegt bei 7,4 Prozent. Davon wiederum kommt nur ein Teil bei den Produzent*innen an. Und die Bauern und Bäuerinnen müssen zu jedem Preis verkaufen, weil sie den Kakao nicht lagern können. Die Regierung in Ghana versucht über die staatliche Kakaobehörde, den Produzent*innen – die nach internationalen Maßstäben trotzdem noch unterhalb der Armutsgrenze leben – einen stabilen Mindestpreis zu garantieren. Doch dieser hängt ab von dem Preis, der beim Verkauf des Kakaos auf dem Weltmarkt erzielt werden kann. Derzeit greift die Kakaobehörde auf Rücklagen zurück und versucht, trotz des Preissturzes zumindest nicht weniger an die Bäuerinnen und Bauern auszuzahlen als zuvor. Das wird sie angesichts der drastisch gesunkenen Kakaopreise auf dem Weltmarkt nicht aufrechterhalten können.
Friedel Hütz-Adams: Das macht es ja so heikel. Im letzten Jahr hat Ghana fast eine Million Tonnen Kakao exportiert. Ab September 2016 gab es einen immensen Preissturz. Statt 3.000 US Dollar wie in den drei Jahren zuvor fiel der Preise binnen kurzer Zeit auf 2.000 US-Dollar je Tonne und bleibt seitdem auf dem Niveau. Inflationsbereinigt liegt der Kakaopreis damit bei rund der Hälfte des Niveaus, den er bis rund 1980 über Jahrzehnte meist hatte. Zugleich stieg der jährliche Umsatz der Schokoladenindustrie auf rund 100 Milliarden Dollar. Der Rohkakao für eine Tafel Vollmilchschokolade mit einem Kakaoanteil von 30 Prozent kostet 6,6 Cent, der Kostenanteil an einer Tafel, die für 89 Cent im Supermarkt zu haben ist, liegt bei 7,4 Prozent. Davon wiederum kommt nur ein Teil bei den Produzent*innen an. Und die Bauern und Bäuerinnen müssen zu jedem Preis verkaufen, weil sie den Kakao nicht lagern können. Die Regierung in Ghana versucht über die staatliche Kakaobehörde, den Produzent*innen – die nach internationalen Maßstäben trotzdem noch unterhalb der Armutsgrenze leben – einen stabilen Mindestpreis zu garantieren. Doch dieser hängt ab von dem Preis, der beim Verkauf des Kakaos auf dem Weltmarkt erzielt werden kann. Derzeit greift die Kakaobehörde auf Rücklagen zurück und versucht, trotz des Preissturzes zumindest nicht weniger an die Bäuerinnen und Bauern auszuzahlen als zuvor. Das wird sie angesichts der drastisch gesunkenen Kakaopreise auf dem Weltmarkt nicht aufrechterhalten können.
Die Frage, ob eine Bauernfamilie von der Kakaoproduktion leben kann, ist nicht Bestandteil globaler Preisgestaltung.
Friedel Hütz-Adams: Wenn der Preis runtergeht hierzulande zu sagen, tja, so ist halt der Weltmarkt – das will mir nicht in den Sinn. Unternehmen agieren geschichtsvergessen. Wie kommt man dazu, 100 Jahre Kampf für Arbeitnehmer*innenrechte, Tariflöhne, Mitbestimmung für Produzent*innen nicht gelten zu lassen? Als hörte die Wertschätzung zivilisatorischer Errungenschaften an der Grenze auf. Hierzulande kann ich ein Unternehmen verklagen, wenn die Schokolade pilzverseucht ist, wir haben Standards, DIN-Normen zu Qualität, Rückständen, hier werden ganze Chargen Adventskalender wegen Mineralölrückständen eingestampft, wie 2012 geschehen. Die Konsument*innen sind geschützt – und da zucken wir einfach die Schultern und sagen: So ist halt der Markt, uns doch egal, ob die anderen von der Produktion leben können, ob die Kinder schuften. Es gibt keinen vernünftigen Grund für dieses Ungleichgewicht. Es ist inakzeptabel.
Friedel Hütz-Adams: Wenn der Preis runtergeht hierzulande zu sagen, tja, so ist halt der Weltmarkt – das will mir nicht in den Sinn. Unternehmen agieren geschichtsvergessen. Wie kommt man dazu, 100 Jahre Kampf für Arbeitnehmer*innenrechte, Tariflöhne, Mitbestimmung für Produzent*innen nicht gelten zu lassen? Als hörte die Wertschätzung zivilisatorischer Errungenschaften an der Grenze auf. Hierzulande kann ich ein Unternehmen verklagen, wenn die Schokolade pilzverseucht ist, wir haben Standards, DIN-Normen zu Qualität, Rückständen, hier werden ganze Chargen Adventskalender wegen Mineralölrückständen eingestampft, wie 2012 geschehen. Die Konsument*innen sind geschützt – und da zucken wir einfach die Schultern und sagen: So ist halt der Markt, uns doch egal, ob die anderen von der Produktion leben können, ob die Kinder schuften. Es gibt keinen vernünftigen Grund für dieses Ungleichgewicht. Es ist inakzeptabel.
Naja, der Grund liegt doch auf der Hand. Wenn Zweck von Produktion und Handel Profit ist, sind niedrige Preise nützlich.
Friedel Hütz-Adams: Trotzdem. Es ist Spielraum da, auch innerhalb des Systems. Seit 2011 gibt es Leitlinien der Vereinten Nationen zur Sorgfaltspflicht der Unternehmen bezüglich Menschenrechten in ihren Lieferketten. Ein nationaler Aktionsplan sieht vor, dass die deutschen Unternehmen freiwillig an die Regierung berichten, was sie diesbezüglich tun. Freiwillig – das geht mir nicht weit genug. Wir brauchen bindende Verträge, die Unternehmensverantwortung muss verpflichtend und einklagbar sein, Menschenrechte in der Wertschöpfungskette müssen einklagbar sein. Eine Schokolade mit fair bezahltem Kakao kostet die Konsument*innen hier ein paar Cent mehr. Das kann nicht das Problem sein.
Friedel Hütz-Adams: Trotzdem. Es ist Spielraum da, auch innerhalb des Systems. Seit 2011 gibt es Leitlinien der Vereinten Nationen zur Sorgfaltspflicht der Unternehmen bezüglich Menschenrechten in ihren Lieferketten. Ein nationaler Aktionsplan sieht vor, dass die deutschen Unternehmen freiwillig an die Regierung berichten, was sie diesbezüglich tun. Freiwillig – das geht mir nicht weit genug. Wir brauchen bindende Verträge, die Unternehmensverantwortung muss verpflichtend und einklagbar sein, Menschenrechte in der Wertschöpfungskette müssen einklagbar sein. Eine Schokolade mit fair bezahltem Kakao kostet die Konsument*innen hier ein paar Cent mehr. Das kann nicht das Problem sein.
Bietet denn der Kakaosektor überhaupt noch Perspektiven für junge Leute in Ghana?
Friedel Hütz-Adams: Das, was den Kakaosektor bis Ende der 80er Jahre auszeichnete, war die Perspektive Land zu bekommen. Das gibt es nicht mehr. Es gibt kaum noch Freiflächen. Der Regenwald ist durch die Abholzungen geschrumpft. Immerhin sind im fruchtbareren und regenreicheren Süden die Voraussetzungen für Menschen aus dem Norden des Landes besser, auch für den eigenen Bedarf anzubauen. Das machen die Bäuerinnen und Bauern auf den Plantagen, zwischen den Kakaopflanzen. Den Bedarfan Grundnahrungsmitteln können sie damit decken. Aber es ist ein Auslaufmodell, es hat keine Zukunft. Viele Bäuerinnen und Bauern haben kein Geld, um in die Plantagen zu investieren. Sie brauchen höhere Einkommen, um weitermachen zu können. Die Farmer, die auf Saisonkräfte angewiesen sind, haben nicht genug Geld, um sie zu bezahlen. Die Hoffnung, die sich früher mit dem Kakaoanbau verband, schwindet. Heute wollen die Eltern nicht mehr, dass ihre Kinder wie sie in den Kakaoanbau gehen. Sie sollen etwas Anderes, etwas Besseres machen, sogenannte White Collar Jobs. Die jungen Menschen wandern ab in die Städte. Und viele arbeiten als Kleinschürfer*innen. Was einst der Kakao war, ist heute das Gold. Es ist die Hoffnung, die den Goldsektor, der oft äußerst umweltschädlich vonstatten geht und die Gesundheit der Menschen gefährdet, so attraktiv macht.
Friedel Hütz-Adams: Das, was den Kakaosektor bis Ende der 80er Jahre auszeichnete, war die Perspektive Land zu bekommen. Das gibt es nicht mehr. Es gibt kaum noch Freiflächen. Der Regenwald ist durch die Abholzungen geschrumpft. Immerhin sind im fruchtbareren und regenreicheren Süden die Voraussetzungen für Menschen aus dem Norden des Landes besser, auch für den eigenen Bedarf anzubauen. Das machen die Bäuerinnen und Bauern auf den Plantagen, zwischen den Kakaopflanzen. Den Bedarfan Grundnahrungsmitteln können sie damit decken. Aber es ist ein Auslaufmodell, es hat keine Zukunft. Viele Bäuerinnen und Bauern haben kein Geld, um in die Plantagen zu investieren. Sie brauchen höhere Einkommen, um weitermachen zu können. Die Farmer, die auf Saisonkräfte angewiesen sind, haben nicht genug Geld, um sie zu bezahlen. Die Hoffnung, die sich früher mit dem Kakaoanbau verband, schwindet. Heute wollen die Eltern nicht mehr, dass ihre Kinder wie sie in den Kakaoanbau gehen. Sie sollen etwas Anderes, etwas Besseres machen, sogenannte White Collar Jobs. Die jungen Menschen wandern ab in die Städte. Und viele arbeiten als Kleinschürfer*innen. Was einst der Kakao war, ist heute das Gold. Es ist die Hoffnung, die den Goldsektor, der oft äußerst umweltschädlich vonstatten geht und die Gesundheit der Menschen gefährdet, so attraktiv macht.
Interview geführt von Marion Wedegärtner