Das Handy als Entwicklungsinstrument
Dienstag 20 Dezember 2016
Im Juni saß er im Kontext der Oikocredit-Jahresversammlung in den Niederlanden als Experte auf dem Podium des Workshops zu Technologie und Innovation in Afrika, im November erreichten wir ihn via Skype in Dakar, der am weitesten westlich gelegenen Stadt des afrikanischen Festlands: Daniel Annerose, Gründer und Geschäftsführer von Manobi.
Herr Annerose, ohne Handys gäbe es Manobi gar nicht, oder? Wie würden Sie Ihre Tätigkeit beschreiben?
Daniel Annerose: Man könnte sagen: Wir orchestrieren. Wir begleiten jeden einzelnen Akteur einer Wertschöpfungskette so, dass er oder sie effektiv arbeiten kann und bringen dann alle Akteure zusammen. Wir optimieren das Handeln des Einzelnen und das Zusammenspiel. Wir versuchen, ein Eco-System zu schaffen, bei dem jeder gewinnt. Dafür nutzen wir die neuen Technologien und gehen an die Grenzen des Machbaren. Wir benutzen das Handy wie andere ihren Computer.
Wer nicht informiert und vernetzt ist, ist ausgegrenzt.
Daniel Annerose: Ja. Es geht uns darum, die ökonomisch schwächsten Glieder der Kette, den einzelnen Bauern, die Bäuerin, die Fischer, die Produzenten an der Wertschöpfung besser zu beteiligen. Wir ermöglichen, etwas plakativ gesagt, dem Bauern, der isoliert auf seinem Feld arbeitet, Anschluss an die Wertschöpfungskette. Wir sagen ihm via Handy, wie er am effektivsten produziert, wo jemand ist, der seine Ware braucht, wie sie am schnellsten dahinkommt und wo es die besten Preise gibt. Das erlaubt den Reichsten auf dem Gipfel der Pyramide, Vertrauen zu fassen zu den kleineren Produzenten, sie nicht nur als Risiko zu betrachten, sondern sie in Betracht zu ziehen. Dabei kann herauskommen, dass ein gut betreuter Kakaoproduzent am Ende Ferrero beliefert, ein Fischer in Kontakt mit einem Exporteur kommt. Wir reduzieren die Risiken durch unseren Service, und damit auch die Risiken für die Banken. Wenn die Produzenten besser informiert sind, sind sie attraktiver für Banken und Versicherungen. Das Gleiche gilt für die weiterverarbeitenden Bereiche, für Händler, Käufer usw.
Kann jeder Ihre Dienste nutzen, was ist mit Menschen, die nicht lesen und schreiben können?
Daniel Annerose: Die Frage können wir schnell beiseite lassen. Wir gestalten unsere Dienste so, dass jeder damit umgehen kann. In Afrika haben heute mehr als 80 Prozent der Menschen Zugang zu einem Handy, die meisten nutzen Prepaid-Konten, das heißt, sie kaufen Karten, können sie einlegen, müssen 14 Nummern eingeben, komplexe Codes. Wir haben also eine Bevölkerung, die, was die Nutzung von Handys angeht, gut gebildet ist. Wenige Menschen haben einen Festnetzanschluss, aber fast alle haben ein Handy.
Wie viele Menschen nutzen die Leistungen, die Sie auf Ihren Plattformen anbieten – ich zähle auf: mAgri, mWater, mSanitation, mLocGov, m4Dev, mFleet, mField, mShop?
Daniel Annerose: Es sind unglaublich viele. Wir haben momentan 150.000 Produzentinnen und Produzenten in zwölf Ländern in der Landwirtschaft. Dazu kommen etwa 1.000 FischerInnen, 3.000 TierzüchterInnen, 2.500 Wasserverteilungsstellen, Wasserbewirtschaftung von der 10 Millionen Menschen profitieren, und das Ganze wächst stetig weiter.
Wissen Sie, was Ihre Arbeit bewirkt, sehen Sie die Resultate?
Daniel Annerose: Aber ja, wir sind immer in Kontakt, bekommen alles mit. Ein Bauer oder eine Bäuerin, die von unseren Plattformen begleitet wird, verdoppeln in der Regel ihren Ertrag. Die Produzenten zahlen für unseren Service, weil sie dadurch auf ihre Kosten kommen.
Die Bedingungen des Marktes können Sie nicht verändern. Kann das, was sie machen, mehr verändern als das Leben Einzelner?
Daniel Annerose: Es ist umgekehrt. Was wir machen, verändert die Infrastruktur und die Strukturen; und in Folge auch das Leben Einzelner. Sehen Sie: Heute verbraucht ein Bauer durchschnittlich zwölf Kilogramm Dünger. Er ist nicht durch die Bank finanziert und hat keine Versicherung und keinen Marktzugang. Das verändert sich total. Er bekommt Kredit, wird versichert, produziert besser und mehr, die Käufer sind zufrieden mit den Produkten. Wir haben durch präzise Dokumentation aller Abläufe den Wassergesellschaften geholfen, ihre Ausnutzung auf 80 Prozent zu steigern. Die Fischer, die nicht versichert waren, sind jetzt versichert. Wir geben den Banken und den Versicherungen die Informationen, die sie brauchen, um Leuten Kredit zu geben bzw. sie zu versichern und sind auch eine Art Garantie, dass sinnvoll und effizient gearbeitet wird. Das heißt: Ja, unsere Arbeit bewirkt Transformationen, hier in Afrika. Wir haben übrigens auch Klienten in Europa, rund 1.000 Weinbauern im Süden Frankreichs. Wissen Sie, bevor ich Manobi gegründet habe, war ich in einer Organisation als Forscher tätig, als Biologe. Ich war für Afrika zuständig und habe gesehen, wie desorganisiert die Landwirtschaft in Afrika bis in die 80er Jahre war. Ich habe beschlossen, etwas anderes zu machen, Lösungen zu finden, die kostengünstiger sind, durch die ausgegrenzte Gruppen beteiligt werden. Die erste Plattform habe ich im Senegal gegründet, heute arbeiten 35 Leute im Kernteam, darum herum etwa 300 weitere.
Wir haben noch gar nicht von den Problemen gesprochen. Gibt es welche?
Daniel Annerose: Es mag seltsam klingen, aber ein Problem sind unsere größten Mitbewerber, die Nichtregierungsorganisationen. Ich meine vor allem die USamerikanischen, die mit 40 oder 60 Millionen Dollar operieren, vier oder fünf Jahre hier herumdoktern und dann wieder verschwinden. Wie soll da etwas entstehen, was ökonomisch nachhaltig ist? Gleichzeitig greifen sie aber mit ihren exzessiven finanziellen Möglichkeiten auch Ideen, Ressourcen ab. Es gibt also einen Kampf um Ressourcen und Menschen.
Könnte man zusammenarbeiten?
Daniel Annerose: Da gibt es keine Zusammenarbeit. Die Projekte, von denen ich rede, werden im Ausland beschlossen, die Finanzierung kommt aus dem Ausland und ist nicht kompatibel mit den Rhythmen unserer Klientel. Wie viele Erntejahre hat ein Bauer in seinem Leben? Vielleicht 40. Wenn der ein Jahr braucht, um ein Dossier anzulegen, um Unterstützung für die Ernte zu bekommen, ist er raus. Wir kennen die Abläufe und Rhythmen, die sehr speziell sind. Unsere Rolle ist, den Geschäftsbanken zu zeigen, dass es für sie eine gute Gelegenheit ist, mit einer dank unserer Plattform gut organisierten Kundschaft zusammenzuarbeiten. Wir wollen das Desinteresse oder den Widerstand der Banken auflösen. Das Dilemma, in dem wir stecken, ist, dass afrikanische Unternehmen keinen Zugang zu lokalen Finanzierungen haben; man findet hier eben keine Bank, die einem hilft. Was die Armen betrifft, die komplett ausgeschlossen sind vom Markt, ist es gar keine Frage, dass sie unterstützt werden müssen. Aber NGOs dürfen nicht an die Stelle der privaten Unternehmen treten. Man kann ihnen das nicht vorwerfen, es ist eine Frage der Regulierungen und Rollenzuweisungen, die durch den Staat vorgegeben sein müssen. Wenn afrikanische Unternehmen besseren Zugang zu Finanzierungen hätten, könnten sie auch besser wachsen. Das ist ein Kreislauf. Entwickeln kann man sich mit wirtschaftlichen Möglichkeiten, Steuern, einer seriösen Regierung und seriösen Politikern.
Wenn jetzt von Entwicklung die Rede ist: Was bedeutet das Wort für Sie?
Daniel Annerose: Ach, das Wort ist das Wort. Ich finde es manchmal zum Verzweifeln, in meinem Alter noch immer die selben Bilder zu sehen wie in meiner Kindheit. Vor ein paar Tagen habe ich ein Dorf in Côte d’Ivoire besucht. Ich sah Frauen, schwanger, ein Baby auf den Rücken gebunden, die zu einem Wasserbecken gingen, sich den gefüllten schweren Behälter auf den Kopf luden und ihn nach Hause trugen. Entwicklung heißt für mich, dass jeder Haushalt fließend Wasser hat, Wasser aus dem Wasserhahn. Dass die Kinder zur Schule gehen können. Eigentlich ist Entwicklung ganz einfach. Es bedeutet, dass die Basisversorgung für jeden zugänglich und gesichert ist. Ich sehe das ganz sachlich. Ich gehe davon aus, dass wir alle dieselben Rechte haben, Recht auf Wasser, Elektrizität, ein Dach über dem Kopf, Recht auf Nahrung, Bildung, Pflege, darauf, dass Bedürfnisse Gehör finden, auf ein Bankkonto. Voilà, das ist mein Blick auf Entwicklung. Ich sehe nicht auf die Mittel, sondern auf die Resultate.
Was muss passieren?
Daniel Annerose: Wir versuchen, die Sektoren, in denen wir arbeiten, effizient zu machen, zu zeigen, dass sie optimal funktionieren können, dass sie wirtschaftlichen und sozialen Wert schaffen. Das gelingt uns. Noch fehlen aber präzise Beschreibungsmöglichkeiten der ökonomischen Situationen. Es gibt zu wenige Daten. Die Sichtbarkeit fehlt. Daran arbeiten wir. Wenn ich sage, ich unterstütze so und so viel Kooperativen und gehe damit zu einer Bank, hört sie mir vielleicht zu, wenn ich Glück habe. Wenn ich aber hingehe und Details erkläre und die auch noch auf einem Display zeigen kann, habe ich mit Sicherheit bessere Karten. Die Situation in afrikanischen Ländern ist schlecht dokumentiert, oder anders, Afrika zeigt sich nicht, dokumentiert sich nicht. Ich glaube, die Zeit ist gekommen, und auch die technischen Möglichkeiten sind jetzt da, genau sagen und zeigen zu können, wovon wir sprechen, was wir machen und dass das Sinn macht. Das ist eine große Chance. Wir können mit Chinesen, Europäern und Amerikanern sprechen, wir werden glaubwürdiger, was wir erzählen, wird glaubwürdiger, und die Möglichkeit, sich gemeinsam entwickeln zu können, wird deutlicher. Wenn „Wir wollen euch helfen“ endlich zu „Wir wollen mit euch zusammenarbeiten“ wird, ändert sich unglaublich viel. Das ist Entwicklung für mich.
Interview und Übersetzung aus dem Französischen:Marion Wedegärtner