Fortschritt ohne Visionen Cacao, Bananen, Erdöl – Ecuadors Abhängigkeit von den Rohstoffen
Johannes Süßmann ist freier Journalist und lebt in Ecuador.
Armut deutlich gesunken, ein durchschnittliches Wirtschaftswachstum von 4,6 Prozent, die höchsten Staatseinnahmen der Geschichte: Man könnte meinen, Ecuador könne sich glücklich schätzen mit seinem seit 2007 regierenden Präsidenten Rafael Correa. Ein Jahr vor dem Amtsantritt des Sozialisten galten gut 37 Prozent der Ecuadorianer als arm. 2014 waren es noch 22,5 Prozent. Endlich schien das kleine Andenland mit seinen knapp 16 Millionen Einwohnern auf einem guten Weg. Und auch die schweren Turbulenzen nach dem Krisenjahr 1999: überwunden.
Damals warfen unter anderem ein niedriger Ölpreis und Verwüstungen durch das Klimaphänomen El Niño Ecuador zu Boden. Innerhalb von drei Jahren sank das Bruttoinlandsprodukt um ein Drittel, die Löhne um fast ein Viertel. Eine Inflation von 52 Prozent gab der Landeswährung Sucre den Rest; seit Januar 2000 ist der US-Dollar offizielles Zahlungsmittel in Ecuador.
In der Folge bedurfte es nicht weniger Anläufe, das Chaos zu sortieren. Sieben Präsidenten hatte Ecuador allein zwischen 1996 und 2005. Dann kam Correa – der Retter? Wie erwähnt, hat er zweifellos Erfolge vorzuweisen. Das Hauptproblem des Landes aber, die Abhängigkeit von einzelnen oder einigen wenigen zum Export bestimmten Produkten oder Rohstoffen, hat auch Correa nicht gelöst. Im Gegenteil: Er hat es noch verschärft.
Seit der Unabhängigkeit von Spanien 1821 ist das Muster mehr oder weniger das gleiche: Ecuador baut vor allem auf ein Produkt, die Weltwirtschaft gerät in Schieflage, die Exporte brechen ein – und das Land stürzt in die Krise. Das war in den 1920er Jahren so, als die Cacao-Exporte wegbrachen. Und es wiederholte sich in den 50er und 60er Jahren mit den Bananenexporten. Seit 1973 ist Ecuador ernstzunehmender Exporteur von Erdöl, dessen Verkauf ins Ausland in den letzten Jahren einen Großteil der Staatseinnahmen ausmachte. Neben steigendem Wohlstand führte das jedoch auch in die endgültige Abhängigkeit von den Launen des Weltmarktes. Keine ecuadorianische Regierung hat es bislang geschafft, mit den Exporteinnahmen die Wirtschaft zu flexibilisieren.
Vielversprechender Start
Correa war angetreten, das zu ändern. „Auf dem Papier klangen die Ansätze auch sehr gut“, sagt Philipp Altmann, Soziologieprofessor an der Zentraluniversität in Quito. Aber ob Produktdiversifizierung, Industrialisierung oder die Förderung von Kleinbauern: „Das hat sich nie wirklich entwickelt und ist immer auf dem Papier geblieben, vor allem nach der Wiederwahl Correas 2010.“
Dabei war Correas Start vielversprechend. Mit Erfolg verhandelte er Ecuadors Staatsschulden neu. Wenig später sorgte er für weltweites Aufsehen mit der Idee, das Erdöl unter dem Yasuní-Nationalpark – einer der artenreichsten Regionen der Welt – im Boden zu lassen. Als Bedingung sollte die Weltgemeinschaft Ecuador die Hälfte der zu erwartenden Einnahmen von rund 3,5 Milliarden US-Dollar ersetzen. Das Geld kam nicht zusammen, die Initiative scheiterte. Der avantgardistische Ruf Ecuadors jedoch, in der Öl- wie in der Umweltpolitik neue Wege zu gehen, war zementiert.
Zu diesem Ruf trug noch eine weitere Innovation bei. Kurz nach Correas Amtsantritt bekam Ecuador eine neue Verfassung. Als weltweit erste ihrer Art räumt sie der Natur eigene Rechte ein. In der Präambel bekennt sich das Land zudem zur Etablierung eines nachhaltigen Politikkonzepts: des „Buen Vivir“ („Gutes Leben“). Dieses Lebensprinzip aus der Tradition der indigenen Andenvölker fordert, den Menschen nicht länger ins Zentrum von Politik und Wirtschaft zu rücken, sondern ihn wieder als Teil der Natur zu betrachten.
Übertragen auf den modernen Nationalstaat zeigt das Konzept damit einen dritten Weg auf neben Kapitalismus und Kommunismus, die sich auf den Menschen fokussieren, ohne ihn in den größeren Zusammenhang der Natur und ihrer Ressourcen zu setzen. Grenzenloses Wirtschaftswachstum lehnt das Konzept ab, genauso wie den westlichen Wohlfahrtsstaat. Ziel ist stattdessen eine solidarische und nachhaltige Gesellschaft, die Verschiedenheit akzeptiert und lebt, sich am Wohl der Gemeinschaft ausrichtet, Konsum als Selbstzweck ablehnt und sich über kommunale Kooperativen möglichst selbst versorgt.
Strukturelle Ungleichheit
Der Ökonom und Ökologe Alberto Acosta ist einer der geistigen Väter der Verfassung. Sein Fazit zur Umsetzung der innovativen Ideen fällt vernichtend aus. Die Wirtschaftspolitik des Landes richte sich in keiner Weise an nachhaltigen Prinzipien aus, sagt er. „Die Regierung hat das ‚Buen Vivir’ seines Inhalts beraubt und es in ein Machtmittel verwandelt, das zu propagandistischen Zwecken eingesetzt wird“, sagt Acosta. Die in der Verfassung verankerten Naturrechte verletze die Regierung systematisch: „Correa tritt die Verfassung mit Füßen, in diesem und in anderen Punkten.“
Ebenfalls kaum verändert habe sich die extrem ungleiche Einkommensverteilung im Land. „71 Prozent des Getränkemarktes werden von der staatlichen Brauerei und von Coca Cola Ecuador kontrolliert“, erklärt Acosta. 62 Prozent des Fleischmarktes lägen in Händen eines Konzerns, drei Magnaten kontrollierten nahezu den gesamten Zuckermarkt, zwei Unternehmen dominierten den Ölmarkt – und damit sei die Liste nicht beendet.
Professor Altmann schätzt, dass 15 bis 20 Familien vier Fünftel des ecuadorianischen Wirtschaft kontrollieren. Die Förderung von Kleinbauern, die Stärkung der heimischen Wirtschaft, der Aufbau einer eigenen Produktion - all das ist offenbar gescheitert. Zwar gibt es laut Altmann Initiativen zur kleinbäuerlichen Förderung, "aber in geringem Maße und mit einer problematischen Struktur".
Seine Kollegin an der Zentraluniversität, Professorin Silvia Vega, forscht seit längerem zu einem Pfeiler von Correas „Bürgerrevolution“, der „economía social y solidaria“ („soziale und solidarische Wirtschaft“). Laut ihren Forschungen herrscht innerhalb der Regierung keine Klarheit darüber, wie genau das wohlklingende Konzept von Kleinkrediten und solidarischer Produktion zum Umbau und zur Flexibilisierung der Wirtschaft beitragen soll.
Missachtung der Verfassung
Stattdessen wurde Ecuadors Wirtschaft in den letzten Jahren Schritt für Schritt am sogenannten Neoextraktivismus ausgerichtet. Die Erdölförderung wurde intensiviert; immer mehr Megaminen zum Abbau von Kupfer oder Gold entstehen, in der Landwirtschaft geht der Trend Richtung Großplantagen und Monokulturen. Eine vor knapp zehn Jahren angedachte Agrarreform wurde nie umgesetzt.
Präsident Correa wollte aufräumen mit den Auswüchsen der neoliberalen Jahrzehnte, wollte den Einfluss des Staates auf die Wirtschaft wieder erhöhen. Genau dies jedoch widerspricht der zentralen Forderung des „Buen Vivir“: dass der Umbau der Gesellschaft von unten, von den Kommunen ausgehen soll. Und die neoextraktivistischen Großprojekte verletzen nicht nur die verfassungsmäßigen Naturrechte, sondern auch die der Indigenen, die unter den verursachten Umweltschäden leiden.
Ecuador steht heute in vielerlei Hinsicht besser da als vor zehn Jahren. Vielen Menschen geht es besser, die Infrastruktur gehört zu den besten Lateinamerikas, die Gesundheitsversorgung ist gut, die soziale Absicherung wird ausgebaut, die Löhne sind gestiegen, genauso wie die Energiegewinnung aus erneuerbaren Quellen. Wie nachhaltig eine Politik ist, die die eigene Verfassung missachtet und die Abhängigkeit von Naturressourcen ausweitet, ist allerdings fraglich.
Für Professor Altmann bleibt nicht viel von den anfänglichen Verheißungen der Regierung Correa, dessen zweite Amtszeit im Herbst 2017 endet. „Es bleibt eigentlich nur noch der Nationalismus übrig, und der linke und der Umweltteil des Nationalismus sind verschwunden“, sagt er. Und Alberto Acosta resümiert: „Die Regierung sagt, um dem Extraktivismus den Rücken zu kehren, muss man ihn zunächst verstärken – wie ein Arzt, der einem Patienten immer mehr Drogen verschreibt, um ihn von den Drogen wegzubekommen: eine Dummheit.“
Archiv > 2016 > Juli
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