Von Uppsala nach Karlsruhe: Eine Bilanz zu Oikocredit anlässlich der Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen
Dienstag 30 August 2022
Hans-Jörg Schneider, Mitglied des Westdeutschen Oikocredit Förderkreises e. V. reflektiert anlässlich der Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen die Situation im Globalen Norden und Süden und was sich seit Uppsala 1968 verändert hat – oder eben auch nicht. Ein Plädoyer für mehr globale Gerechtigkeit und Verantwortungsübernahme.
1968 kamen junge, politisch engagierte Christ*innen angesichts der vierten Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Uppsala, Schweden, zusammen. Während kirchliche Vertreter in den Konferenzsälen diskutierten, kritisierten die Jüngeren, dass Kirchen mit ihren Geldanlagen Systeme und Unternehmen finanzierten, die den Vietnamkrieg und das Apartheid-Regime unterstützten. Sie verlangten nach ethischen Investitionsmöglichkeiten, die zu Frieden und Geschwisterlichkeit beitragen. Durch die Vergabe von Darlehen an wirtschaftlich benachteiligte Menschen und Gemeinschaften im Globalen Süden sollten soziale Gerechtigkeit und Zusammenhalt gefördert werden. Gut sieben Jahre später, 1975, gründete sich aus diesem Impuls die ökumenische Entwicklungsgenossenschaft Oikocredit (ehemals „EDCS“). Damit hatten Kirchen und kirchennahe Organisationen nun ein alternatives Investmentinstrument. Dieses Jahr trifft sich der Ökumenische Rat der Kirchen wieder – diesmal in Karlsruhe, Deutschland.
Status Quo – ein düsteres Bild der globalen Ungerechtigkeit
Zwischen den Ländern des Globalen Südens und denen im industrialisierten Norden herrscht immer noch eine enorme Wohlstandsdifferenz mit beklemmenden Auswirkungen auf das verfügbare Einkommen, auf Gesundheit und Bildung (Vgl. Abb. 1).
Abb.1. Die Teilung der Welt. Vergleich ca. 2017-2020 von: a) Einkommen pro Kopf (per Haushalt in US-$), b) CO2-Emissionen aus fossilen Brennstoffen in t per Jahr, c) Müttersterblichkeit per 100.000 Geburten, d) TBC -Todesfälle per 100.000 Einwohner; e) Todesfälle von Kindern unter 5 Jahren per 100.000 Geburten; alle Daten für visuellen Vergleich umgerechnet.[1] D/F :_Mittelwert Deutschland/Frankreich; Congo: Mittelwert DR /R
Vor 200 Jahren gab es kaum derartige Unterschiede–das pro-Kopf Bruttoinlandsprodukt betrug 1820 im Vergleich von Westeuropa und Afrika gerade mal das 2.5-fache, 2008 stieg es auf das 12-fache und in nur zwölf Jahren bis 2020 auf das 25-fache (Abb. 2). Der enorme Zuwachs an Reichtum im Norden beruht zum Einen auf der rücksichtslosen Ausbeutung leicht zugänglicher fossiler Energien. Das führte, zum Klimawandel unter dem der Globale Süden weit mehr leidet als der Norden. Ein weiterer und entscheidender Faktor für die Bereicherung des Nordens ist die Ausbeutung von natürlichen Ressourcen und Arbeitskraft im Süden durch die Kolonialmächte.
Aus gutem Grund sprechen Papiere des Ökumenischen Rats der Kirchen (ÖRK/WCC) von „gigantischen Dimensionen des Unrechts und der wirtschaftlichen Ausbeutung früherer Jahrhunderte“, und von überfälligen „Reparationszahlungen“ der Länder des Nordens.[2] Während sich im Norden eine tragfähige Infrastruktur entwickelte, leiden viele Länder des Globalen Südens nach wie vor unter Defiziten bei Gesundheits-, Sozial- und Verkehrssystemen. Die Folgen von Pandemien wie Covid-19 können entwickelte Länder weit besser auffangen als die im Süden, was die Distanz weiter vergrößert. Als Folge von Covid-19 prognostiziert die Weltbank eine Zunahme der extrem armen Menschen, die mit weniger als 1,9 $/Tag leben um 88 Millionen auf insgesamt 150 Millionen im Jahr 2021.[3] Zudem hat sich die Lage für die Menschen im Süden durch den Ukrainekrieg weiter verschärft, er führt zu mehr Verknappung an Nahrungsmitteln, Düngern, Öl, etc.
Abb.2. Entwicklung des pro-Kopf Bruttoinlandsprodukts seit 1700 von Westeuropa (linke Balken, blau) und Afrika (rechte Balken, rot).[4]
Der Ausweg: Investitionen im Globalen Süden
Entscheidende Verbesserungen im Süden erfordern Investitionen, welche weit über die bisherige Entwicklungszusammenarbeit hinausgehen. In Deutschland beträgt diese 12,35 Mrd. Euro (2022), oder 2 % des Bundeshaushalts (knapp 500 Mrd. Euro, 2021)[1], wobei ein erheblicher Teil deutschen Unternehmen zugutekommt. Der Bedarf an Investitionen in reale Güter ist im Süden weit größer und zukunftsträchtiger als im Norden, wo Gewinne immer mehr nur durch Kapitalumschichtung erzielt werden. Nur ein Prozent der deutschen Auslandsinvestitionen geht zurzeit nach Afrika. Das im Norden im Überfluss verfügbare Kapital wird in überwiegend zweifelhafte und klimaschädliche Unternehmen investiert, es führt zu einem nicht mehr vertretbaren Wachstum mit immer mehr steigendem Umweltverbrauch. Der Süden dagegen muss für eine Verbesserung der Lebensbedingungen die im Norden schon lange realisierte Entwicklung nachholen, und in gewaltigem Ausmaß in verbesserte Produktionen, Infrastruktur, Bildungs- und Gesundheitswesen sowie Altersvorsorge investieren.
Oikocredit: Eine beispielhafte Genossenschaft und Vorreiterin
Genossenschaften wie Oikocredit zeigen seit Jahrzehnten, dass Kredite für sozial, ökologisch und ökonomisch sinnvolle Projekte in Ländern des Globalen Südens mit hohen Rückzahlquoten und sogar bescheidenen Dividenden eingesetzt werden können. Solche Kredite unterstützen z. B. beim Bau von Brunnen, bei der Beschaffung von Saatgut, Wiederaufforstung, Anlagen zur Produktivitätserhöhung und erhöhter Wertschöpfung, und bei der Konstruktion von Verkehrswegen, Schulen und Gesundheitseinrichtungen. Flächendeckende Photovoltaikanlagen können eine weitgehend noch fehlende Elektrizitätsversorgung ebenso ermöglichen wie die Produktion von Wasserstoff für den Export in den Norden, alles klimaschonende Investitionen.
Oikocredit sollte vermehrt dafür werben, dass mehr private Mittel aus dem Finanzsektor im Süden investiert werden. Allein in Deutschland fließen jährlich Dividendenzahlungen von rund 37,3 Milliarden US-Dollar (2020) an Aktionäre. Mikrofinanzinstitutionen können hier als ein bewährtes Modell für Investitionen im Globalen Süden fungieren. Der Staat könnte dafür sorgen, dass ein größerer Teil solcher Mittel von Organisationen wie Oikocredit für ihre Mitglieder steuerbegünstigt werden.
Angesichts der kommenden Vollversammlung des ÖRK in Karlsruhe ist zu hoffen, dass die Teilnehmenden die ständig verschärfende Ungleichheit zwischen den Ländern im Norden und Süden der Öffentlichkeit bewusst machen und die Forderungen nach überfälligen Reparationszahlungen ausdrücklich erneuern. Die Bibel, bereits die Thora, verpflichtet alle Gläubigen zur Gerechtigkeit für die Unterdrückten, zum Teilen des Reichtums.[5] Zu der brennenden Frage der Klimagerechtigkeit sagt der Papst in der Enzyklika Laudato si „Es gibt keine Ökologie ohne Gerechtigkeit.“ Globale Gerechtigkeit – wirtschaftlich und ökologisch – ist essentiell.
[1] https://www.bmz.de/de/ministerium/zahlen-fakten und https://www.bundeshaushalt.de/DE/Home/home.html
[1] Wikipedia, z.B . https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_L%C3%A4nder_nach_Treibhausgas-Emissionen; https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_L%C3%A4nder_nach_Kindersterblichkeitsrate; s. auch https://www.who.int/publications/i/item/9789240037021; https://en.wikipedia.org/wiki/Maternal_death#Variation_within_countries
[2] Message on the occasion of the 3rd United Nations Financing for Development Forum, by WCC, WCRC, CWM and LWF. New York, 23-26 April 2018 — World Council of Churches (oikoumene.org)
[3]https://www.evangelisch.de/inhalte/176686/07-10-2020/weltbank-corona-stuerzt-100-millionen-menschen-extreme-armut
[4]https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_L%C3%A4nder_nach_historischer_Entwicklung_des_Bruttoinlandsprodukts_pro_Kopf#cite_note-maddison-17
[5] Siehe u.a.: Timotheus 6, 17-19; Jesaja 58,7; Apostelgeschichte 10,35; 1. Mose 15,7-8.11.
Hinweis: Dieser Beitrag spiegelt die persönliche Meinung des Autoren wider.