Es kommt auf Nähe an
Dietmar Blümer, Vorstandsvorsitzender des Westdeutschen Förderkreises von Oikocredit.
2022 wird für die deutschen Förderkreise ein Jahr der Veränderungen sein. Anleger*innen sollen im deutschen Finanzmarkt stärker geschützt werden. Es gibt neue gesetzliche Regelungen, die ab Sommer dieses Jahres umgesetzt werden müssen. Darüber, welche Konsequenzen das für Anleger*innen, Förderkreise und Oikocredit insgesamt hat, sprachen wir mit dem Vorsitzenden des Westdeutschen Förderkreises, Dietmar Blümer
Herr Blümer, was ändert sich sich in diesem Jahr für die deutschen Förderkreise und ihre Rolle, welche Auswirkungen sind für die internationale Genossenschaft zu erwarten?
Dietmar Blümer: Die Förderkreise in Deutschland können aufgrund der neuen Regelungen zum Anleger*innenschutz das bisherige Treuhandmodell ab August nicht weiter anbieten. Nur für bestehende Mitglieder bleiben die Förderkreise für einen gewissen Zeitraum noch Treuhandverwalter, für neue Anleger*innen dürfen wir die Treuhandanteile nicht mehr ausgeben und verwalten. Das nimmt Oikocredit zum Anlass, das Beteiligungsmodell in Europa zu überdenken. Geplant ist, die internationale Genossenschaft als Anlagemöglichkeit für alle Einzelinvestor*innen zu öffnen, Vertrieb und Verwaltung von Genossenschaftsanteilen lägen bei Oikocredit selbst. Ziel ist eine Vereinfachung und Vereinheitlichung. Das wird bei den vielen unterschiedlichen Regulierungen für Finanzprodukte in den Ländern Europas nicht ganz einfach sein. Man wird sehen, wie das geplante Modell in jedem einzelnen Land funktioniert.
Was ändert sich dadurch gegenüber der jetzigen Situation?
Dietmar Blümer: Derzeit sind im wesentlichen die Gründungsmitglieder von Oikocredit die direkten Mitglieder der Genossenschaft. Darunter sind viele Kirchen, beispielsweise aus den Niederlanden, aus Deutschland oder Frankreich, aber auch aus dem globalen Süden sowie die Förderkreise, die sich recht bald gründeten. Bei weitem das meiste Kapital kommt aber von privaten Investor*innen. Sie könnten künftig direkt Anteile an der Genossenschaft erwerben. Das ist das Modell, das unser Förderkreis für Deutschland derzeit präferiert.
Da stellt sich die Frage, wie die einzelnen Investor*innen dann in der Genossenschaft vertreten sein werden. Bisher haben die Förderkreise diese Rolle wahrgenommen.
Dietmar Blümer: Angedacht ist, dass die Förderkreise auch für die neuen Anleger*innen die Vertretungsfunktion übernehmen, beispielsweise bei der Generalversammlung von Oikocredit International, und es dazu in irgendeiner Form eine Mitgliedschaft in den Förderkreisen geben wird. Ob das optional oder verpflichtend sein wird, ist derzeit noch offen. Denkbar wäre ja auch, dass jedes Einzelmitglied Stimmrecht hätte. Ob das allerdings eine praktikable und vernünftige Regelung wäre? Wir sehen die Gefahr, dass dadurch die sozialen Ziele von Oikocredit International zu vielen Einzelinteressen untergeordnet werden könnten. Deshalb wollen die bestehenden Mitglieder weiterhin ein starkes Stimmrecht haben und dazu eine Form der Vertretung für die neuen Anleger*innen. Aber das Gewicht der einzelnen Anleger*innen wird in jedem Fall steigen. Momentan sind die sieben deutschen Förderkreise die Vertretung sämtlicher deutscher Anleger*innen, fast 30.000 Personen und Institutionen. Diskutiert wird, dass wir als Förderkreise ein stärkeres Gewicht in der Generalversammlung bekommen, mit mehr Stimmen. De facto ist es schon jetzt so, dass die Förderkreise besonders aktiv die Arbeit von Oikocredit International begleiten.
Was genau wird künftig die Aufgabe der Förderkreise sein? Was dürfen sie, was dürfen sie nicht?
Blümer: Die neue Gesetzgebung in Deutschland sieht eine klare Trennung zwischen Information und Werbung vor. Die Förderkreise dürfen und sollen über nachhaltige Geldanlage, entwicklungspolitische Zusammenhänge und die UN-Nachhaltigkeitsziele informieren, auch Geschichten über die Partner erzählen, darüber, welche Wirkung die Zusammenarbeit mit ihnen hat. Aber der Vertrieb der Geldanlage und die Werbung dafür liegt künftig bei Oikocredit selbst. Bei jeder Frage nach Anlagemöglichkeiten müssen wir an Oikocredit International verweisen. Wird es denn dann für die Anleger*innen noch die Möglichkeit geben, sich ehrenamtlich für Oikocredit zu engagieren? Dietmar Blümer: Oikocredit International hat in allen Gesprächen zum Transformationsprozess von sich aus betont, dass die Bereiche Bildung und Vernetzung wesentlich zur Genossenschaft gehören und sie diese Aktivitäten fördern und finanzieren wird. Oikocredit will nach wie vor mehr sein als eine reine Geldanlage oder ein Fonds, sie will auch eine Wirkung in Europa erzielen, wie es in den SDGs deutlich formuliert ist: Es geht nicht nur um Veränderungen im globalen Süden, sondern auch bei uns im Norden. Dabei kommt den Förderkreisen eine wichtige Rolle zu. Sie werden weiterhin Bildungsmaterial anbieten, es wird Informationsveranstaltungen, lokale Kooperationen und ähnliches geben. Dafür brauchen wir tatkräftige Unterstützung. Das Interesse, sich ehrenamtlich zu beteiligen, gibt es nach wie vor, auch bei den Jüngeren. Sie möchten sich vielleicht nicht langfristig binden, setzen sich aber gerne projektbezogen ein. Es wird in jedem Fall genügend Angebote für unterschiedliche Arten ehrenamtlicher Mitarbeit geben. Und die klassische Form der Mundpropaganda, die eine so große Bedeutung für die dynamische Entwicklung der Förderkreise in der Vergangenheit hatte, ist natürlich auch weiter möglich.
Wird es bei sieben deutschen Förderkreisen bleiben?
Dietmar Blümer: Die notwendigen Änderungen nehmen wir auch zum Anlass, generell die Struktur der Förderkreise in Deutschland zu prüfen. Wichtige Gesichtspunkte dabei sind Effizienz und größere Wirkung sowie die lokale Präsenz. Wir wollen weiter auf lokaler Ebene mit Basis- und Regionalgruppen arbeiten, die sich vor Ort vernetzen. Ob das dann in der bisherigen Form sein wird, ist noch in der Diskussion. Durchaus möglich, dass es schlankere Lösungen geben wird. Aber es wird immer Menschen vor Ort geben, die die lokalen Kontakte gewährleisten. Wir im Westdeutschen Förderkreis haben ja auch schon über Bonn hinaus einen zweiten Standort in Münster geschaffen. Wir wissen: Es kommt auf Nähe an.
Wenn die Anteile direkt über Oikocredit in Amersfoort vertrieben und verwaltet werden, wohin wenden sich die Anleger*innen künftig bei Fragen zu finanziellen Angelegenheiten?
Dietmar Blümer: Wir halten weiterhin die Treuhandanteile der bisherigen Mitglieder. Die Anleger*innen werden auf jeden Fall Ansprechpartner*innen vor Ort haben, möglichst dieselben Personen wie bisher, die dann nur im Auftrag von Oikocredit International tätig sind. Die Umstrukturierung ist nicht der Startschuss zu Personalreduzierung und Kostensenkung. Wir werden den Übergang in Deutschland so gestalten, dass unsere Mitarbeiter*innen weiter für Oikocredit tätig sein können und dass ausreichend Präsenz vor Ort gewährleistet ist.
Kann ich als Anleger*in eigentlich über mein Depot beim Förderkreis hinaus zusätzlich Anteile bei Oikocredit direkt erwerben?
Dietmar Blümer: Das wird beim geplanten Modell für einen gewissen Zeitraum möglich sein. Wir gehen aber davon aus, dass wir nicht auf Dauer zweigleisig fahren werden. Das widerspräche dem Wunsch nach Einheitlichkeit. Wir gehen davon aus, dass in drei bis fünf Jahren alle Mitglieder ihr Geld nach den neuen Regeln anlegen. Das wird aber nicht automatisch geschehen, sondern dafür holen wir die aktive Zustimmung der Mitglieder ein.
Welche Erwartungen sind mit der Transformation zur Öffnung der Genossenschaft verknüpft und wie sicher ist, dass das geplante Modell den neuen gesetzlichen Regelungen für Deutschland entspricht?
Dietmar Blümer: Die Umstrukturierung ist eine Vereinfachung. Das neue Modell wird auch einfacher zu erklären sein. Deshalb bevorzugt unser Förderkreis diese Lösung. Wir sehen in dem neuen Modell klar eine Stärkung der genossenschaftlichen Idee von Oikocredit: Es geht uns eben nicht nur darum, das Kapital zu investieren und eine Dividende zu erzielen. Im Vordergrund stehen vielmehr die Förderung der Mitglieder und ihrer Interessen an einem Wandel hin zu einer gerechteren Welt. Das erreichen wir durch Schulungsmaßnahmen, öffentliche Veranstaltungen und die Vernetzung von Partnerorganisationen weltweit. Allerdings werden wir erst im Laufe des Jahres erfahren, ob dies dem Rechtsverständnis der Aufsicht entspricht. Für den Fall der Fälle prüfen wir eine Alternative, die Gründung einer deutschen Genossenschaft, die ihrerseits Anteile bei Oikocredit kaufen kann und dafür von den Mitgliedern finanziert wird.
Wie lange wird es dauern, bis sich die Genossenschaft insgesamt umstrukturiert? Die deutschen Förderkreise sind ja unter Zeitdruck, weil die neuen Regelungen ab Sommer angewendet werden müssen.
Dietmar Blümer: Auf internationaler Ebene hatten wir eine außerordentliche Mitgliederversammlung im Dezember. Sie hat dem Management der Genossenschaft grünes Licht dafür gegeben, die Öffnung der Kooperative für Investor*innen zu prüfen. Der nächste Schritt ist, auf den niederländischen Regulator zuzugehen, zeitgleich zu den deutschen Regulierungsbehörden. Im April wird es weitere Konsultationen mit den Mitgliedern geben. Die endgültige Entscheidung über eine Öffnung der Genossenschaft wird bei der nächsten regulären Vollversammlung im Juni fallen.
Viele Anleger*innen fragen sich vermutlich: Wie sicher ist meine Geldanlage bei Oikocredit angesichts der anstehenden Veränderungen?
Dietmar Blümer: Oikocredit besteht inzwischen seit fast 50 Jahren und hat sich immer wieder erfolgreich an neue Gegebenheiten angepasst. Die Genossenschaft hat Corona bislang gut überstanden, und das war bekanntlich eine Riesenherausforderung. Auch wenn Veränderungen Unsicherheiten mit sich bringen können, gehe ich im Moment davon aus, dass die mit der Geldanlage bei Oikocredit verbundenen Risiken sich nicht wesentlich verändern. Über diese Risiken legen wir in unseren Prospekten Rechenschaft ab. Es war schon immer die Aufgabe der Genossenschaft, Risiken frühzeitig zu erkennen und geeignete Maßnahmen zu ergreifen, und ich habe nicht den geringsten Zweifel daran, dass Oikocredit damit auf allen Ebenen verantwortlich umgehen wird. Die Veränderungen im Anlagemodell sind im Vergleich zur neuen Strategie für Oikocredit International, an der wir momentan arbeiten, gering. Sie zielt darauf ab, sich im Outflow-Bereich stärker zu vernetzen, sich mehr auf ganze Gemeinschaften zu fokussieren und damit Menschen umfassender darin zu unterstützen, ihre Lebenssituation zu verbessern. Die Anleger*innen können also sicher sein, dass ihr Geld verantwortungsvoll und sozial wirksam eingesetzt wird.